Es war schon mitten in der Nacht, doch an Schlaf war nicht zu denken. Heute also sollte es so weit sein. Sie war unruhig und es hielt sie nicht länger auf ihrem Stuhl. Da sonst kaum jemand in der Burg wach war, wirkte das Rascheln ihres oppulenten Kleides unnatürlich laut. Auch ihre Schritte hallten in dem großen Raum wider, während sie hinaus auf den Balkon trat. Für den späten Herbst war es eine erstaunlich laue Nacht. Entweder das oder der viele Wein hatte sie der Kälte gegenüber unempfindlicher gemacht. Sie hob den Kelch an ihre Lippen und hielt einen Moment inne, als eiliges Pferdegetrappel den Burghof mit Leben füllte. Womit hatte sie das verdient? Kurz dachte sie an Rowan. Er hätte wohl den Göttern die Schuld dafür gegeben. Ja...es war schon sehr ironisch, dass sie so gut wie alles und jeden heilen konnte, abgesehen von sich selbst. Trotzdem war es ein Geschenk das ihr zu teil wurde. Sie gab jemand anderem die Schuld. Schuld waren ganz sicher die Strapazen, die sie zu erdulden hatte, als sie auf der Flucht war. Es war fast sieben Jahre her und jetzt musste sie den Preis dafür zahlen. Ihre Rechte hob den Kelch nun noch etwas höher, um ihn zu leeren, während die Linke sich auf die üppige Kugel unter ihrem Kleid legte. Sie sah ihm mit sehr gemischten Gefühlen dabei zu, wie er vom Pferd kletterte und den Hof durch schritt, hinter ihm einer seiner Getreuen.
Es verging viel zu wenig Zeit, als auch schon die Tür zu ihrem Gemach aufschwang. Viel zu wenig Zeit um sich vorzubereiten. Ihre Hand krampfte sich an der Lehne eines Stuhles fest, während sie versuchte halbwegs überzeugend zu lächeln. Ihm entging ihre Unsicherheit, die Angst, selbst die Wut in ihrem Blick konnte sie vor ihm verbergen. Er selbst achtete im Moment mehr auf das Bündel in seinen Armen. Als Nolan vor ihr stehen blieb, lächelte er glücklich und hielt ihr das Bündel hin. "Das ist Tristan, unser Sohn." Sie hielt einen Moment die Luft an und starrte hinab auf das, in Decken gewickelte, Baby.
Das war nicht ihr Sohn. Sie hatten jahrelang alles versucht um ihn zu bekommen. Aber das Schicksal sah nicht vor, dass sie jemals ein Baby gebären sollte. Dennoch wollten sie Kinder. Unbedingt. Ein Vorschlag, über den sie nicht richtig nachgedacht hatte, als sie ihn machte, sollte genau dafür sorgen. Immerhin war er ja in der Lage ein Kind zu zeugen. Natürlich hatte er sich geweigert. Wollte sie nicht hintergehen. Aber sie wünschte es sich so sehr. Und es hätte doch dann wenigstens etwas von ihm, wenn schon nicht von ihr. Und nun war es da. Sein Kind mit einer anderen Frau. Endlich wäre sie den falschen Babybauch los. Ein Mahnmal für das was sie nie erleben würde. Trotzdem konnte sie kein Glück empfinden. Dieses Baby war nicht ihres. Das war das Kind einer Frau, die mit ihrem Mann geschlafen hatte. Sie blickte von dem Baby in sein Gesicht. Er runzelte die Stirn. Verstand ihr Zögern nicht und erwartete wohl, dass sie ebenso glücklich war wie er und das Baby auf den Arm nahm. Immerhin letzteres konnte sie ihm geben. Als sie den Kleinen in ihren Armen hielt, wiegte sie ihn leicht. Er konnte nichts dafür. Er hatte nicht darum gebeten auf die Welt zu kommen. Das war ihre Schuld. Sie lächelte schmal und begann eine leise Melodie zu summen, während ihre Gedanken weiter kreisten. Sie würde wohl nie wirklich seine Mutter sein, wenn seine Mutter existierte. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. So als müsste sie ein Leben lang Angst davor haben, dass diese Frau auftauchen würde. Sie war sich sicher, nun wo sie ihn in ihren Armen hielt, würde sie ihn lieben können. Er würde ihr Sohn sein, wenn sie seine Mutter wäre. Niemand sollte jemals kommen können und ihn für sich beanspruchen. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Nolans Arm sich um seine kleine Familie legte. "Er ist wunderschön, nicht wahr?" Cara lächelte. Diesmal ehrlich. "Er sieht aus wie du. Alle werden ihn lieben."
Natürlich würde es ein großes Fest geben. Die Geburt des Erben, auf die das Volk Weidens schon so lange warten musste. Einladungen wurden verfasst, aber nur eine schrieb sie selbst. Sie musste persönlich schreiben, um eine gewisse Dringlichkeit zu untermauern. Sie war sich sicher Katharina und Rodrigo würden dies verstehen. Bei ihren vielen Geschäften war es schwer gemeinsame Treffen zu verabreden, aber sie musste mit Katharina reden. Sie war die Einzige, die sie kannte, die ihr wahrscheinlich weiter helfen konnte. Niemand sollte jemals kommen und ihre Familie kaputt machen. Und Katharina konnte Geheimnisse bewahren und kannte die richtigen Leute.
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