Sie verschwand im Zelt, ohne ihm nochmal nachzusehen. Sie war sich fast sicher, dass er froh war, als sie nach der gefühlten Ewigkeit ihres Spazierganges, vor dem Zelt ihres Bruder anhielten. Er sollte es also nun sein. Natürlich stand nichts fest. Innerhalb der letzten Tage, wechselten die Männer, für die sie bestimmt sein sollte, desöfteren. Noch vor ein paar Monaten wäre sie wohl vor Freude durch die Flure ihrer Burg gehüpft. Nolan Trevelyan war ein Name. Und er sah dazu auch noch gut aus. Es machte sogar den Anschein als sei er ein anständiger Mann. Aber er war eben nicht sein Bruder.
Sie seufzte als sie sich auf das Feldbett legte und schloss einen Moment die Augen. Nun, es gab wichtigeres über das man nachdenken musste, als über die eigene Zukunft. Hatte sie das Richtige getan, als sie Rowan von ihrem Wissen über die Kaiserfamilie erzählte? Das Land würde bluten, gäbe es einen Kampf um den Thron. Offenbar stand der Erbfolge nach nicht direkt ein Thronfolger fest. Zumindest nannte Padrick keine Namen. Alles was er sagte, war, dass sich die Mächtigen treffen würden und verhandeln. Bliebe es dabei, wäre es wohl gut. Aber sie befürchtete weitere Kämpfe. Sie hätte wirklich gern versucht dem Kaiser zu helfen. Nicht um selbst Kaiserin zu werden. Nun...vielleicht nicht _nur_ deswegen. Vielmehr war ein Krieg um den Kaiserthron eine riskante Sache. Sie hatte vom achtjährigen Krieg aus einer vergangenen Zeit gelesen. Viele hatten gelitten. Viele waren gestorben. War es dann nicht besser diesen Kaiser zu behalten? Ihm gerechte und erfahrene Berater an die Seite zu stellen? Ihn von seiner Mutter zu lösen und ihn den Herrscher werden zu lassen, den alle lieben konnten?
Niemand wusste was er sein würde, sollte es tatsächlich möglich sein diesen Fluch zu brechen. Vielleicht blieb er das Monster, weil er nie die Gelegenheit hatte etwas anderes zu sein. Vielleicht aber auch nicht. Sie glaubte zumindest in seiner Schwester so etwas wie Güte erkannt zu haben. Vielleicht besaß er das auch. Vermutlich würde sie das nie erfahren. Zu viele Menschen wussten nun was am Hofe vor sich ging.
Als ihr Bruder eintrat, schloss sie schnell die Augen und tat so, als würde sie schlafen. Sie hatten sich verändert. All die Leichtigkeit ihres früheren Lebens war gänzlich von ihnen gewichen. Manchmal fragte sie sich, ob sie tatsächlich noch 16 war oder ob das Waldwesen auch ihren Geist verändert hatte. Wenn sie daran dachte was sie vor einem Jahr getan hatte, kam ihr all das albern vor. So unwichtig und kindisch. Und trotzdem wünschte sie sich dahin zurück. Zurück zu den Momenten über die sie immer wieder nachgedacht hatte. Sie sah dann ihren kleinen Bruder, der auf einem Podest stand und sich trotzdem noch strecken musste, um seine Lieblingsstute zu striegeln. Er wollte nichts lieber als Stalljunge werden, weil er Tiere so liebte. Natürlich war das nicht sein Weg. Aber vorerst ließ man ihn in dem Glauben, dass er werden könnte was er wollte. Sie sah ihren älteren Bruder, wie er scherzend mit einem Freund den Hof durchquerte, zu ihr aufblickte und ihr frech die Zunge heraus streckte, als sein Freund nicht hinsah. Sie spürte die unglaubliche Wärme, die nur von einer mütterlichen Umarmung ausging. Und sie sah ihren Vater. Sie sah ihn, wie er ihren kleinen Bruder hochhob, damit dieser eines der Pferde füttern konnte. Sie sah ihn dabei wie er Elias stolz auf die Schulter klopfte, nachdem er einmal mehr ins Schwarze traf. Sie sah ihn wie er liebevoll zu ihrer Mutter blickte und ein leichtes, aber zufriedenes Lächeln sein Gesicht zierte. Sie sah sein strenges Gesicht und hörte das widerwillige Seufzen, als er schließlich doch nachgab, wenn sie etwas wirklich wirklich wollte.
Das alles wollte sie wieder haben. Auch wenn sie wusste, dass es so nie wieder sein würde.
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