Nolan Trevelyan
07.07.2015
Momper
Kommentare: 3
Nolan stand mit dem Rücken zum Raum, während er aus dem hohen Fenster blickte. In der Spiegelung sah er sein eigenes Gesicht, die großen Augen und die weichen Züge, die durch den dunklen Bart eine schneidigere Anmutung bekamen. Außerdem sah er seine beiden Kinder am anderen Ende des Raumes stehen. Ethan und Cailin gaben sich alle Mühe, keine Geräusche zu machen, aber er konnte das nervöse Scharren ihrer Schuhsohlen auf dem gekachelten Boden hören. Gerade, als die Anspannung so hoch war, dass er fürchtete, die beiden würden jeden Moment platzen, räusperte er sich.
"Möchte mir einer von euch etwas sagen?", fragte er, ohne sich umzuwenden.
"Es war Cailin, Vater! Sie hat...", brach es aus Ethan hervor.
"Was? Lüge! Du bist ein Lügner!", entfuhr es Cailin, und es lag aufrichtige Entrüstung in ihrer Stimme, "Vater, ich habe wirklich nicht..."
Nolan wandte sich um. Sofort schwiegen die Geschwister.
"Cailin, geh zu deiner Mutter.", sagte er.
"Vater, er lügt! Ich schwöre es!", sagte das Mädchen verzweifelt.
Nolan antwortete seiner Tochter, doch er richtet den Blick auf seinen Sohn.
"Ich weiß. Nun geh zu deiner Mutter."
Ethan besaß immerhin den Anstand, abzuwarten, bis seine Schwester verschwunden war, ehe er losplapperte.
"Vater, ich wollte nicht... es war ein Unfall. Ich habe Lanzenstechen geübt."
"In der Ahnenhalle?"
Der Junge blickte zu Boden und kaute betreten auf der Unterlippe.
"Hör zu. Du wirst einen Kunstmaler finden, der das Gemälde repariert. Du wirst dir einen Weg einfallen lassen, wie du ihn entlohnst, damit er das Loch flickt und übermalt. Du wirst mit eigenen Händen dafür arbeiten und niemandes Hilfe annehmen, bis der Handwerker bezahlt ist. Hast du mich verstanden?"
"Gewiss, Vater". Ethan nickte reumütig. "Darf ich jetzt gehen?"
"Nein."
"Nein?"
Nolan drehte sich wieder zum Fenster um und ließ seinen Sohn einen Augenblick grübeln.
"Warum, denkst Du, bestrafe ich dich?", fragte er schließlich.
"Weil... Weil ich in das Gemälde von Onkel Rowan gestochen habe?", antwortete der Junge zaghaft, "Weil er tot ist und weil Ihr und Mutter ihm so viel verdankt."
Nolan hob, von seinem Sohn ungesehen, eine Braue. "Du hast recht. Wir verdanken ihm viel. Aber deine... Attacke auf das Gemälde ist ganz gewiss nicht der Grund, mein Sohn."

Rowan hatte eine Umarmung erwartet. Stattdessen pfefferte Nolan seinen Kelch quer durch den Raum und wandt sich ab. Der blasierte Ausdruck in Rowans Gesicht wich, und er starrte seinen kleinen Bruder verblüfft an.
"Wie konntet ihr das tun?", schrie Nolan schließlich in die Stille.
Er dreht sich wieder um und ließ den Blick über seine Familie gleiten. Fionan, Reinys, Aellin und Ciaran – sie alle hatten es gewusst.
"Habt ihr es genossen? Habt ihr euch gut amüsiert? Seht! Der Kobold trägt einen leeren Sarg zum Boronsacker. Was für ein Spaß!"
"Hast du den Verstand verloren?", zischte Fionan.
"Vor allem Ihr hättet es mir sagen müssen, Vater! Noch in Gareth." Nolan ließ sich nicht einschüchtern. Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar.
"Wäre es dir lieber, ich wäre tatsächlich tot?", hob Rowan in seinem üblichen spöttischen Tonfall an, "Denn in dem Falle..."
"Tu das nicht! Du wirst das jetzt nicht verdrehen! Das gestatte ich dir nicht!" Nolan unterdrückte wütende Tränen.
Rowan lehnte sich zurück und schwieg.
"Ein Geheimnis ist nur dann ein Geheimnis, wenn...", setzte Fionan erklärend an, aber Nolan fiel ihm ins Wort. "Es ist mir egal! Ihr hättet es mir sagen müssen, Vater, und Cara ebenso! Wie konntet Ihr uns beide durch diese dunkle Zeit gehen lassen?"
"Eure Trauer musste echt sein.", fuhr Fionan nun in gewohnter Ruhe fort, "Sonst hätte es niemand geglaubt. Und das war das Einzige, das zählte. Zum Schutze deines Bruders. Begreifst du das nicht?"
Nolan starrte an die Decke. "Doch, ich begreife."
Eine Weile schwiegen alle.
"Ich werde sie nicht belügen. Cara wird es erfahren.", setzt Nolan wieder an.
"Nolan, Du kannst nicht...", setzte nun Ciaran an, und auch ihm fuhr Nolan ins Wort. "Das verlangt ihr nicht von mir! Das nicht! Ich belüge sie nicht, damit Rowan bis zum Ende unserer Tage als Lüge zwischen uns steht. Das verdient sie nicht. Und ich verdiene das auch nicht."
Noch ehe jemand etwas sagen konnte, erhob Rowan die Stimme.
"Er hat recht. Sie soll es erfahren."
Nolan stürmte aus dem Raum. Er hatte für heute genug von seiner Familie.


"Ich bestrafe dich, weil du mich belogen hast. Und vor allem weil du deiner Schwester deinen Fehler anhängen wolltest."
"Ich hatte Angst, dass..."
Nolan wandte sich wieder um und schaute seinen Sohn an.
"Angst? Ethan, kennst du den Unterschied zwischen Angst und Respekt?" Der Junge nickte. Nolan fuhr fort. "Du darfst den Respekt, den du vor deiner Mutter und mir hast, niemals mit Angst verwechseln. Verstehst du das?"
"Ja, Vater."
"Und du darfst niemals jemand anderes für deine Taten die Folgen tragen lassen. Du wirst eines Tages der Souverän von Weiden sein. Was für ein Herrscher wärst du, wenn du nicht zu deinen Fehlern stehst?"
"Ich dachte...", entgegnete der Junge, "Ich dachte, Herrscher dürfen keine Fehler machen."
"Jeder macht Fehler.", entgegnete Nolan, "Entscheidend ist, wie wir damit umgehen."

Tess und Damián und die Überbleibsel der Piratenmannschaft um den Kulko hatten zunächst den gleichen Weg gehabt, als Nolan und Cara und das Heer unter dem Ziegenbanner zu Rowans Begräbnis aufgebrochen waren.
"Eines Tages werde ich dir Hügeltrutz zeigen." Das hatte Nolan Tess einmal versprochen. Und das war jetzt vielleicht die letzte Gelegenheit, dieses Versprechen einzulösen.
Wie erwartet geizte Tess nicht mit Spott, als Nolan sie durch Hallen führte, die vom Reichtum und Überfluss des Hauses Trevelyan kündeten. Nolan kannte das und hätte es wie meistens mit einem Lächeln hingenommen, aber nicht heute.
Er hatte Cara eingeweiht. Und als er gesehen hatte, wie sie vor Freude aufgeblüht war, wie die Nachricht das Leuchten zurück in ihre Augen gebracht hatte, dass Rowan endlich wieder zurück in ihrem Leben war, da musste Nolan sich entschuldigen.
Dass er Tess unwillkürlich zu seiner alten Kammer führte (und welche Absicht dahinter steckte), wurde ihm erst bewusst, als er den Raum mit ihr betreten hatte.
"Ich will, dass du mir zeigst, wie ich einer Frau Vergnügen bereite."
"Noch nicht mal verheiratet und schon untreu."
"Tess..."
"Ich sag ja nur."
"Ich werde dieses eine Mal nicht vollkommen unwissend sein."


"Du darfst niemals erwarten, alles richtig zu machen. Wir lernen für den Rest unseres Lebens. Erwarte niemals, dass du eines Tages fertig bist. Aber du musst wissen, was deine Stärken und Schwächen sind. Es ist leicht, um die eigenen Stärken zu wissen. Wichtiger ist es aber, seine Schwächen zu kennen.", erklärte Nolan seinem Sohn.
"Wer folgt denn einem, der Schwächen hat?", fragte Ethan. Von seiner Betretenheit war nichts mehr geblieben. Sie war Neugier gewichen.
"Zeige mir einen, der keine hat." Der Junge überlegte. Als er nichts erwiderte, fuhr Nolan fort. "Das führt uns zurück zu dem, was ich dir eben gesagt habe über den Unterschied zwischen Angst und Respekt."
Ethan schaute seinen Vater fragend an.
"Sage mir, was ist ein besserer Herrscher: Einer, der seine Schwächen für sich behält und deshalb immer wieder alles falsch macht? Oder einer, der offen zu seinen Schwächen steht und einen Weg sucht, sie auszugleichen?"

"Lords und Ladies von Weiden!" Nolan warf Cara ein sanftes Lächeln zu und erhob sich. Er blickte in die Runde der alteingesessenen Fürsten, die sich am Vorabend des Hochzeitsfestes auf der Burg eingefunden hatten. Einige blickten abschätzend. Einige blickten sogar ablehnend. Aber einige waren auch neugierig. Er fuhr fort.
"Wenn ihr zu meiner Lady und mir blickt, was seht ihr dann?" Einige Blicke wanderten unschlüssig umher. Er setzte wieder an. "Das ist keine Fangfrage. Ich bin kein Freund von Ratespielen. Im Gegenteil, es ist Zeit für offene Worte.
Ich sage euch, was ihr seht. Ihr seht zwei, die das Erwachsenenalter gerade so erreicht haben und noch grüner sind als die schönen Hügel Weidens." Erleichtert stellte er fest, dass einige der Adeligen im Raum über den albernen Scherz schmunzelten. Er setzte wieder an."Meine Lady trägt immerhin einen Namen, der bei einigen von Euch Wohlwollen erregt. Einige von euch haben das Haus meiner Dame in unserem Kampf gegen den Verräter Caylawn unterstützt. Ich hingegen trage einen Namen, der bei den meisten bestenfalls Respekt, wahrscheinlich aber Angst erregt. Und zu recht. Mein Haus hat sich über die Generationen hinweg einen zweischneidigen Ruf erworben. In Albernia respektiert und fürchtet man die, die das Ziegenbanner tragen, aber man liebt sie nicht." Jetzt waren die Blicke wieder verschlossener. So hatte er sich das gedacht. "Maskenspiele und Schleier! Doch das hier ist nicht Albernia und soll es nicht sein! Und diese Ziege kennt den Unterschied zwischen Angst und Respekt." Jetzt kicherten wieder einige. Gut. "Respekt fußt auf Zuneigung. Und Zuneigung will verdient werden. Ebenso wie Macht. Ihr kennt die Redewendung: Macht hat der, dem Macht gegeben wird.
Meine Lady und ich kamen zu jedem eurer Häuser. Wir baten um Brot und Salz, und es wurde uns gegeben. Nun wollen wir euch um etwas viel wertvolleres bitten. Wir bitten euch um Euer Vertrauen..." Nolan bemerkte, dass einige der Fürsten nunmehr ihre volle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatten. Er fuhr fort. "...und euren Rat." Jetzt hatte er sie alle. "Wir bitten euch darum, mit Rat auszugleichen, was uns an Lebenserfahrung mangelt."
Diese Worte ließ er eine Weile im Raum stehen. Er blickte zu Cara. Sie war Lady genug, um nobel zurückgenommen zu sein. Ihr war klar, dass er die Leute überzeugen musste.
"Wir sind von ihrer kaiserlichen Majestät mit der Herrschaft über Weiden betraut worden. Aber es steht außer Frage, dass wir dieses Lehen nicht regieren können, ohne zu wissen, mit wem wir es zu tun haben. Und hier seid ihr, die ihr euer Leben hier verbracht habt. Ein junger Herrscher muss wissen, wessen Worten, wessen Weisheit und wessen Sorgen er lauschen muss. Wir werden euch zuhören.
Und morgen, wenn meine Lady und ich den Bund miteinander eingehen, dann wollen wir nicht nur den Segen unserer Häuser haben. Wir erbitten auch den euren."
Er klatschte. Die Türen gingen auf und Diener trugen Platten herein, die prall gefüllt waren mit den erlesensten Speisen des Mittelreiches. Erleichtert bemerkte Nolan die zufriedenen Ausdrücke in den Gesichtern der Lords. Sie würden ihm eine Chance geben. Die erste Schlacht war gewonnen. Nun musste er nur darauf achten, weniger betrunken zu sein als die Gäste.


Ethan hatte sich hingesetzt und lauschte seinem Vater gebannt.
"Wandle deine Schwächen um zu einem Schild, sagen einige. Ich sage: Wandle deine Schwächen um zu was auch immer dir hilft, sei es ein Schild oder ein Lächeln oder ein kluges Wort. Akzeptiere sie, aber dulde sie nicht länger als nötig."

Nolan stand an der Pissrinne, blickte in die Nacht und meinte, die weiten Hügel Weidens sogar jetzt unter den Sternen erkennen zu können. Das Fest drinnen war im vollen Gange. Morgen würde er Cara heiraten. Heute Nacht musste er noch viel Diplomatie anwenden. Er brauchte dringend frische Luft und dehnte seinen Austritt ein wenig aus.
"Erschrick nicht."
Nolan erschrak und drehte sich um. Natürlich war es Rowan. Nolan legte den Kopf in den Nacken. Dann erst knöpfte er sich wieder seine Hose zu.
"Warum bist du hier?", fragte er.
"Mein kleiner Bruder heiratet die mir ans Herz gewachsene liebe Freundin. Die ganze Familie ist da. Da will ich nicht fehlen.", antwortete Rowan.
"Dir ist klar, wie sie auf deine Anwesenheit reagieren wird."
"Ja." Rowans Stimme war leise.
"Gut. Dann hat sie wenigstens etwas, das ihr an unserem Hochzeitstag Freude bereitet. Das verdient sie."
"Du redest Unsinn. Sie mag dich."
"Und sie liebt dich."
"So wie du die Straßenkatze liebst."
Nolan drehte sich zu Rowan um.
"Was hast du vor? Willst du dich mit Mantel und Kapuze zum Fest schleichen? Oder als maskierter Fremder einen deiner eitlen Auftritte absolvieren?"
"Warum bist du so wütend, kleiner Bruder?"
"Weil ich alles opfere, was mir etwas bedeutet hat, damit du deine Lüge leben kannst. Aber dennoch bist du der, der als nobles Opfer in Erinnerung bleiben wird. Der Held, der sein Leben gab, um die Welt von altem Übel zu befreien."
"Du hast mit Cara einen glücklichen Fang gemacht."
"Das ist wahr. Aber das ist nicht, was ich meine."
"Also willst du Anerkennung für deine Taten?"
Nolan schüttelte ungläubig den Kopf. "Und nicht einmal jetzt begreifst du, was du tust. Es geht hier nicht um mich oder Cara. Du benutzt alle, denen du begegnest und du glaubst, du hättest das Recht dazu. Und jeder verdenkt es dir. Das macht mich so wütend."
"Was soll ich tun?"
"Was willst du tun?"
"Ich versprach Cara, mit ihr zu tanzen."
"Dann tanze mit ihr."
"Du gestattest es mir?"
"Kann ich es dir verbieten?"
Eine Weile schwiegen die beiden Brüder. Dann war es Rowan, der wieder das Schweigen brach.
"Wird es zwischen uns beiden jemals wieder so sein, wie es einmal war?"
"Mein Bruder ist tot. Alles, was ich einst nobel und liebenswert an ihm fand, ist vor meinen Augen verblasst, als ich erkannte, dass es eine Lüge war. Und dennoch muss ich mich für den Rest meines Lebens an dieser Lüge messen."
"Kannst du mir verzeihen?"
Nolan sah seinem Bruder in die Augen.
"Wenn du mich auch nur ein bisschen kennst, großer Bruder, dann wirst du wissen, dass meine größte Gabe die ist, jedem verzeihen zu können."


"Was schließt du nun daraus?", fragte Nolan. Ethan dachte nach.
"Ich hätte nicht versuchen sollen, Cailin die Schuld zu geben.", mutmaßte der Junge.
"Das ist zu einfach. Die Antwort habe ich dir schon vorgesagt. Denk weiter, Junge."
"Ich hätte nicht in der Ahnenhalle Lanzenstechen üben sollen."
"Ja, das war nicht klug überlegt. Wir haben einen großen Hof für solcherlei Dinge. Doch das ist nicht, was ich meine."
"Ich hätte gleich zu Euch kommen sollen, Vater."
"Um was zu tun?"
"Meinen Fehler einzugestehen?"
"Um mit mir gemeinsam zu überlegen, wie wir das Problem angehen."

"Habt Dank, Majestät, dass Ihr mir diese Audienz gewährt." Nolan war vor Fiona auf ein Knie gesunken. Fiona hatte ihn in der Ratskammer empfangen.
"Lasst mich mit seiner Durchlaucht allein.", war ihr Befehl.
Die Wachen verließen den Raum. Nolan erhob sich. Fiona erhob sich ebenso, und die beiden alten Freunde umarmten sich unziemlich.
"Es ist lange her.", sagte sie.
"Zu lange. Aber du bist die Letzte, der ich erklären muss, wie intensiv die Erfüllung der neu gewonnenen Pflichten ist."
Fiona lächelte aufrichtig müde. "Ich hoffe, du bist nur hier, um mit mir zu plaudern und den Herbst zu genießen."
"Beides will ich mehr als alles andere. Doch tatsächlich bin ich auch in politischer Mission hier. Aber ich denke, die Sache wird dich interessieren. Schließlich geht es um das Land deiner Familie."
Fiona legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an. "Sprich."
"Königin Giselle von Albernia hat meinen Vater in die Knie gezwungen."
Fiona bekam einen harten Ausdruck, während sie nickte.
"Albernia steht vor einem offenen Konflikt. Haus Trevelyan und viele der anderen alten Häuser erkennen den Anspruch der Lamar-Witwe nicht an, nun, da mein Vater sein Amt an Ciaran abgetreten hat. Das bedeutet..."
"Das bedeutet, dass Ciaran König von Albernia werden wird, sollte er Haus Lamar angreifen", schloss Fiona.
"So ist es.", bestätigte Nolan, "Mein Vater wird dafür sorgen, dass die Fürsten Albernias ihn anerkennen. Ciaran wird König werden.
Doch wir beide wissen, dass Ciaran kein guter Herrscher ist. Ihm mangelt an an den Führungsqualitäten, über die Rowan verfügte. Und auch am Einfühlungsvermögen und an der Schläue, die ich habe." Nolan grinste. Fiona tat es ihm gleich. "Ciaran ist grob und unbedacht. Aber er lässt sich leicht lenken von unserem Vater. Und seien wir ehrlich, unser Vater wird noch lange durch Ciaran herrschen."
"Du hälst es nicht für ratsam, dass dein Vater Albernia regiert?"
"Oh, doch, er ist ein guter Herrscher, der in der Lage ist, Pläne zu durchschauen und Entscheidungen zu treffen. Doch traue ich meinem Vater allerhand zu. Und ich will sichergehen, dass du den Stammsitz deines Hauses wie ausgemacht beanspruchen kannst, sobald er keine Bewohner mehr hat."
"Worauf willst du hinaus?"
"Stell dir folgendes vor: Wenn ein gleichgestellter Souverän eines anderen Königreiches Einfluss auf König Ciaran nehmen könnte... Noch dazu einer, der ihn schon lange kennt, und der gleichzeitig der Kaiserin von Gareth ebenso loyal ist wie seiner eigenen Familie, dann könnten wir einen moralischen Ausgleich schaffen und Sorge tragen, dass mein Vater diesesmal zu seinem Wort steht."
"Aber du bist kein gleichgestellter Souverän, verglichen mit dem König von Albernia."
"Noch nicht. Aber ein kaiserliches Dekret verwandelt ein Herzogtum rasch in ein Königreich. Ein Lehen ist ein Lehen. Die Verwaltung kannst du Cara und mir überlassen. Für dich ändert sich nichts. Nur Ciaran und mein Vater hätten dann endlich ein Gegengewicht."


"Was ist, wenn ich nicht ertappt worden wäre?", fragte Ethan.
"Denkst du, eine Schuld ist getilgt, wenn niemand davon weiß?"
"Trägt man eine Schuld, wenn niemand davon weiß?"
"Eine Tat ist eine Tat. Alles, was du tust – alles, was ein jeder von uns tut – verändert den Lauf der Welt. Du kannst nichts tun, ohne dass sich etwas ändert.
Dieses kleine Loch im Bild ist ein gutes Beispiel. Denkst du, es wäre einfach niemandem aufgefallen und darum nicht passiert, wenn du nicht ertappt worden wärest?"
"Nein, Vater. Es wäre dennoch passiert."
"Es wäre dennoch passiert und du hättest jedesmal an das kleine Loch denken müssen, wenn du am Bild vorbei gegangen wärst."

"Was darf's sein?", fragte der Wirt.
"Ich will Dünnbier und einen Gefallen", antwortete Nolan.
"Was'n für'n Gefall'n?"
"Ich suche eine Frau namens Tess und einen Mann namens Damián. Sie werden hier irgendwann auftauchen. Ich will, dass die Nachricht an ihre Ohren kommt, dass Liam nach ihnen gefragt hat." Nolan legte einen Dukaten in die Hand des Wirtes. Der Mann riss die Augen auf. "Wen hast'n da beklaut?"
"Wirst du die Nachricht übermitteln?"
"Klar. Liam such Tess und Derryl."
"Damián."
"Damián. Verstanden."
"Ich werde regelmäßig hier vorbei kommen. Vermutlich einmal am Tag."
"Aye."
Der König von Weiden ließ das Bier stehen. Wären die beiden hier gewesen, hätte er es spätestens jetzt gewusst.
Zwei Tage später traf er sie. Sie tauchten einfach in dem kleinen Zimmer auf, das er angemietet hatte.
Tess war in enges Leder geschnürt. Damián sah aus wie ein Kaufmann. Nolan war Liam, ein einfacher Bauernbursche mit Weste und Gugel.
"Mylord!", grüßte Tess mit einem provozierenden Schmunzeln. Nolan beschloss, heute mitzuspielen. "Wenn du schon Titel benutzt, dann nenne mich Majestät. Das ist die korrekte Anrede für einen König. Jetzt hingegen bin ich aber wohl weder Lord, noch Majestät." Damit hatte er das gesagt, was sie erwartet hatte. Und nun konnte sie zur Antwort ansetzen. "Und schon steigt es ihm zu Kopf."
Damián umarmte Nolan schlicht. "Was machst du hier in Havena? Ist es nicht ein bisschen weit weg von Weiden?", fragte er.
"König Nolan von Weiden hat seinen Bruder besucht. Viel Politik. Und jetzt möchte ein Mann namens Liam eine Passage nach Grangor buchen, ohne viel gefragt zu werden. Gibt es ein Schiff, das noch einen Platz frei hat?"
"Kann Liam auch bezahlen?", wollte Tess wissen.
"Er kann. Und er hat sogar eine zusätzliche Belohnung."
Tess und Damián schauten ihn erwartungsvoll an.
"Ein paar Meilen vor der Küste liegt ein anderes Schiff. Es hat Kisten voller Tücher und Stoffe an Bord. Diese Kisten müssen auf Euer Schiff. Und ein Drittel davon behaltet ihr, wenn ich in Grangor von Bord gehe.", erklärte er.
"Wen bestehlen wir?", fragte Damián.
"Den König von Weiden."
Damián grinste. Das gefiel ihm. Tess zog die Brauen zusammen.
"Was hast du vor?", fragte sie, "Das bedeutet doch irgendwas. Ich denke, du solltest uns einweihen."
"Kannst du dich noch an die schöne Tochter des Gouvaneurs erinnern, Tess?"
Sie verdrehte die Augen. "Wie könnte ich die jemals vergessen? Hatte die nicht ein Auge auf dich geworfen?"
"Zwei sogar."
"Und was hast du mit ihr vor?"
"Mit ihr? Nichts. Nur ist es so, dass Gouvaneur Mendoza eine Brautschau veranstaltet, weil sich einfach niemand für seine Tochter findet. Der gute Gouvaneur ist alt und braucht dringend einen Schwiegersohn, dem er seine Titel überlassen kann. Und wie es sich fügt, ist der zukünftige Gouvaneur von Grangor ein Freund von mir."
"Wie kann der zukünftige Gouvaneur jetzt schon feststehen, wenn...", setzte Damián an, aber dann stahl sich die Erkenntnis in sein Gesicht. "Ich verstehe. Du kaufst dir einen Freund."
"Den Freund habe ich schon. Ich habe ihn vor einem Jahr nach Grangor geschickt. Er hat einen Weg in die Kreise des Gouvaneuers gefunden. Wie man sich erzählt, ist er der jungen Gouvaneurstochter gegenüber immer äußerst zuvorkommend. Und er spricht den Gouvaneur inzwischen beim Vornamen an. Wenn er nun auch noch ein prächtiges Geschenk überreicht – sagen wir, teure Stoffe für die Dame – dann ist ihm ihr Herz und das ihres Vaters sicher."
"Du willst also, dass wir dich zu deinem Freund bringen?", fragte Damián, "Das ist alles?"
"Nein.", antwortete Nolan, "Ich will, dass ihr mich zu Maos bringt. Und er wird Kontakt aufnehmen zu meinem Freund."
"Maus?", fragte Tess, "Du hast noch Kontakte zu Maus?"
"Ich hatte bereits nach meiner Krönung ein paar Dinge mit ihm zu klären. Er half mir, meinen Freund in Grangor zu etablieren."
"Du bist ein Gauner!", freute sich Tess.
Nolan deutete eine Verbeugung an. "Dies ist aus deinem Munde ein Kompliment, ich weiß."
"Wozu?", wollte Damián wissen. "Wozu tust du das alles? Warum Grangor?"
"Ich brauche Augen und Ohren. Nicht nur in Weiden."
"Du setzt einen Spatz auf die Dächer von Grangor. Du hättest nur was sagen müssen. Ich stamme von da.", sagte Damián.
"Dir... euch beiden will ich ein anderes Geschäft vorschlagen.", erwiderte Nolan. "Ihr seid nicht ortgebunden. Das ist gut." Nolan lehnte sich zurück. "Was haltet ihr von einer jährlichen Summe von... sagen wir... eintausend Dukaten dafür, dass ihr mich über alles unterrichtet, was ihr auf euren Reisen hört und seht? Und sollte es nötig sein, dann werdet ihr, ohne zu fragen, Waren und Passagiere transportieren. Das wird aber vermutlich nicht oft geschehen. Allerdings würde unsere Abmachung jetzt mit einem solchen Transport beginnen. Ich biete euch also viel Geld für etwas, das ihr ohnehin tut. Alles, was ihr tun müsst, wäre mir ab und an zu schreiben."
"Wir könnten dich doch auch besuchen." Tess grinste. "Deine Frau würde sich sicher über unseren Besuch freuen."
"Es gibt keinen Seeweg nach Weiden. Das wisst ihr. Du müsstest reiten. Und was meine Lady...", Nolan betonte das Wort, "angeht: Sie weiß von dieser Abmachung. Ich habe keine Geheimnisse vor ihr."
"Gar keine?", fragte Tess unschuldig.
Nolan zog es vor, nicht zu antworten.
"Sind wir im Geschäft?", fragte er stattdessen.
Damián und Tess schauten sich eine Weile an. Dann nickten sie. "Aye!", brachten sie gleichzeitig hervor.
"Gut." Nolan holte einen Geldbeutel hervor und legte ihn vor den beiden auf den Tisch. "Das ist die Bezahlung für das kommende Jahr."
"Du sagtest, wir müssten etwas transportieren.", setzte Damián wieder an.
Nolan nickte. "Wenn wir aus Grangor zurück sind, dann bitte ich euch, mich wieder in Havena abzusetzen. Dann werde ich euch eine einzige Kiste bringen lassen. Diese muss ins Bornland. Zum Sitz des Hauses Wolskaer."
Tess und Damián schauten ihn wieder fragend an.
"Mein alter Freund Irjew hat mich darum gebeten, ihm ein paar Sachen nach Hause zu schicken."
"Er lebt?", platzte es auch Tess heraus. "Woher weißt du das?"
"Ein Spatz hat es mir gepfiffen.", antwortete Nolan mit einem Schmunzeln. Dann wandte er sich an Tess. "Ich habe dir einmal gesagt, dass ich es leid bin, unwissend zu sein."
"Du solltest dich mit Belmonte zusammentun. Das klingt alles nach ihm.", sagte Tess.
"Mit wessen Schiff kam ich wohl hier an?", fragte Nolan.


"Geheimnisse zu haben ist Teil des Lebens eines Herrschers. Viele Untertanen sehen in ihrem ganzen Leben nur eine einzige Maske ihres Königs. Doch ein Herrscher braucht immer welche, die ihn ohne Masken kennen. Verstehst du das?", fasste Nolan zusammen.
"Also lügen Herrscher doch." Ethan runzelte die Stirn.
"Es gibt einen Unterschied zwischen lügen und nicht die Wahrheit sagen.", antwortete Nolan, doch als er sah, dass es Ethan inzwischen schwer fiel, ihm zu folgen, lächelte er seinen Sohn an. "Wir haben noch viel Zeit, uns über solche Sachen zu unterhalten. Was ich dir zum Unfall mit dem Bild sagen wollte, habe ich dir gesagt." Nolan nahm Ethan bei der Hand. "Nun lass uns zu deiner Mutter und zu deiner Schwester gehen. Ich möchte, dass du deine Schwester aufrichtig um Verzeihung bittest und anwendest, was du heute gelernt hast."
"Heißt das, Ihr seid mir nicht mehr böse, Vater?"
"Du bist mein Kind. Ich werde dich immer lieben. Aber du wirst mir noch oft in deinem Leben Gelegenheit geben, dir böse zu sein. Und auch du wirst mir böse sein, wenn ich etwas tue, das dich trifft. Solche Dinge können nicht vermieden werden. Wichtig ist, wie wir damit umgehen."
Damit erreichten sie den Speiseraum. Cailin saß neben Cara und hatte die Aufregung von vorhin schon ganz vergessen. Sie wackelte mit den Beinen, die noch nicht vom Stuhl bis zum Boden reichten. Als Nolan und Ethan eintraten, sahen Mutter und Tochter auf.
"Cailin, dein Bruder möchte dir etwas sagen.", hob Nolan an. Ethan sah sich um und blickte Mutter, Vater und Schwester an. Seine Ohren glühten. Cara lächelte.
"Vielleicht möchte Ethan es dir aber auch unter vier Augen sagen.", fügte sie an. Ethan nickte und reichte seiner Schwester die Hand. Cailin war jetzt wieder ganz Lady. Sie glitt vom Stuhl und ließ sich huldvoll von ihrem Bruder führen. Als die Kinder aus dem Raum waren, ließ sich Nolan auf dem Rand des Tisches nieder und blickte Cara an. Ihr gewölbter Bauch ließ sich nicht mehr unter den Kleidern verstecken. Es würde bald soweit sein. Nolan ging zu ihr, kniete sich vor sie und legte das Ohr an den Bauch.
"Ich hoffe, es wird ein Mädchen. Jungen sind vorlaut und frech. Und man muss ihnen alles dreimal erklären."
Cara lachte sanft und ließ ihre Fingerspitzen dann durch sein dunkles Haar tanzen. Nolan schloss die Augen und genoss es für einen Augenblick. Dann schaute er zu ihr auf.
"Bist du glücklich?"
Sie küsste ihn zur Antwort.
"Du fragst das jeden Tag. Kein Mensch ist immer glücklich. Vor allem nicht, wenn er ein Kind unter dem Herzen trägt. Das ist anstrengend.", fügte sie schmunzelnd hinzu.
"Aber das ist das einzige, das zählt. Also bist du glücklich?", fragte er erneut.
"Du willst nur noch einen Kuss."
"Nein, ich will noch tausend Küsse. Also bist du glü..."
Cara lachte glockenhell auf und küsste ihn noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal.
Das Lachen der Hexe und des Gauners, die als Königspaar über Weiden herrschten, hallte über den Hof und die Gärten. Aber daran waren die Bediensteten der Burg gewöhnt.
07.07.2015 13:57
Sehr schön. Ich liebe den vorletzten Satz, der ist großartig! Und vorallem ist es gut, dass es mal jemanden Rowan ins Gesicht gesagt hat, wie egoistisch seine ganze Aktion war.
07.07.2015 17:01
Awww.....was für ein schöööööner Blog! :)
07.07.2015 18:09
ich find ja vor allem schön, dass Nolan mal mit dieser "Ich will an dem Spiel nicht teilnehmen"-Einstellung losgezogen ist und als König von Weiden endet, der mit der Kaiserin befreundet ist und sich ein überregionales Netzwerk aufbaut.
Name E-Mail
www
 
Nachricht
 
Bitte trag das Ergebnis nebenstehen ein:

5 plus 1

=