Fiona de Voine
30.04.2015
Sonnata
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"Du kämpfst wie ein Mädchen!" Die spöttische Geringschätzung in der rauhen Stimme des Mannes, der dem jungen Mädchen gegenüber stand war nicht zu überhören. Er hielt einen hölzernen Übungsdolch in der Hand, wie Fiona selbst, und schüttelte sich selbstgefällig die etwas zu langen zottigen Haare aus dem Gesicht.
"Ich BIN ein Mädchen!" beinahe hätte Fiona verärgert mit dem Fuß aufgestampft, aber sie beherrschte sich und hob trotzig den Kopf. "Erklärt mir lieber, was ihr damit meint! Wenn ihr ein guter Lehrer wärt, dann würdet ihr mir alles beibringen, was ich brauche, damit das niemand mehr über mich sagen kann! Ihr habt doch behauptet mir etwas beibringen zu können."
Fiona registrierte nur am Rande, daß Benedikte in gebührendem Abstand um die beiden herum schlenderte und sie beobachtete, prüfend, aber nicht unzufrieden.
Der Mann musterte Fiona mit hochgezogenen Brauen und seufzte dann.
"Also schön. Du sagst, du willst mich angreifen. Hast du die Absicht mich zu töten? Es sieht nämlich nicht danach aus, wenn du da hinten stehen bleibst und bloß mit ausgestrecktem Arm den Dolch in meine Richtung fuchtelst. Du hast Angst davor, mich zu treffen. Das ist schlecht. Du mußt mich treffen wollen. Ziele also nicht auf meinen Dolch. Du mußt näher heran gehen. Und außerdem solltest du dir überlegen, was in einem echten Kampf passieren würde, wenn du tatsächlich triffst. Die Leute bluten. Sie haben Schmerzen und das war deine Schuld. Sie werden vielleicht wütend. Sie werden zurückschlagen. Damit mußt du dich dann auseinandersetzen."
Fiona musterte den Mann vor ihr zweifelnd und kaute auf ihrer Unterlippe. Er wirkte deutlich größer, schwerer und stärker als sie selbst.
Der Mann nahm wieder eine kampfbereite Pose ein.
"Komm schon, Mädchen. Ich halte das aus, es ist nur ein Übungsdolch. Versuch mal mich zu treffen. Nenne es von mir aus Lektion eins."
Fiona musterte ihn erneut, diesmal mit anderen Augen und nahm die Kampfhaltung ein, die er ihr zuvor gezeigt hatte.

Verfehlt! Verdammt, verdammt! Wie hatte das passieren können? Die Kaiserin Mutter stand doch keine drei Schritte weit weg und schaute in die andere Richtung. Fionas Gedanken überschlugen sich, während sie mit fliegenden Fingern versuchte, die Armbrust erneut zu spannen und zu laden. Natürlich hatten ihr vor Aufregung die Hände gezittert, als sie den Bolzen auf sie schoss. Verdammt!
Fahrig schaute sie sich immer wieder mißtrauisch um, aber die Menge um sie herum war von den Ereignissen auf dem Kampfplatz vor ihr abgelenkt. Nur Damian, der auf dem Boden saß und hinter dessen Rücken sie Deckung gesucht hatte, schaute sich ab und zu nach ihr um. Er war verletzt und sollte eigentlich längst den Ort des Kampfes verlassen, damit jemand sich die tiefe Wunde in seinem Bein ansehen konnte, aber er schien entschlossen Fiona weitherhin vor den Blicken der kaiserlichen Wachen und der Kaiserin Mutter selbst abzuschirmen, bis sie ihre Aufgabe beendet hatte.
Padrick, der Magister der Magister hatte ihr ein ungewöhnliches Anliegen anvertraut. Er hoffte, das Richtige zu tun, doch er wählte einen zweifelhaften Pfad, um es zu erreichen.
Die Sorge um seine Enkelin brachte ihn dazu, Fiona zu bitten, auf sie zu schießen.
Die Bolzen enthielten gerade so viel Gift, daß sie eine Weile schlafen würde, um sich nicht mit einem Beweis für die furchtbare Anklage zu belasten, die im Augenblick ihr Leben bedrohte.
Fiona hatte sich im Publikum einen Platz direkt hinter Lady Cara gesucht, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Sie war fest entschlossen, Padricks Plan auszuführen und so die junge Frau vor sich selbst zu beschützen und zu retten, um deren Hand der Kaiser angehalten hatte.
Der Kaiser, den zu heiraten, sie sich selbst vorgenommen hatte. Diese Verbindung schien all ihre Ziele in greifbare Nähe zu rücken. Aber sie hatte bisher weder mit ihm, noch mit der Kaiserin Mutter gesprochen, ja nicht einmal um eine Audienz gebeten. Und als der Kaiser seine Verlobung mit Lady Cara aus dem Hause Carnaby bekannt gab, hatte die Überraschung sie betäubt.
Jetzt war ihr deutlich bewußt, daß die Frau, an deren Stelle sie sich wünschte, nur zwei Schritte weiter vor ihr stand. Wenn sie den Arm ausstreckte, konnte sie sie beinahe berühren.
Wenn Ser Rowan für sie zuerst diesen Kampf und dann den Krieg gewann, hätte sie ihre Familie zurück, ihr zu Hause und dazu den mächtigsten Mann des Reiches als Ehemann gewonnen.
Wer würde es dann noch wagen, etwas gegen ihre Familie zu unternehmen?!
Die Götter schienen ihr gewogen zu sein.
Fiona stand regungslos da und blickte starr auf ihr kunstvoll aufgestecktes Haar, die schmale Mädchenfigur in blauen Stoffen, edler als alles was Fiona bisher besessen hatte und ihre Hand tastete nach der Armbrust. Ihr Blick wanderte weiter und blieb an der Kaiserin Mutter hängen.
War sie wirklich die wahnsinnige Mörderin, die sie zu sein schien? Vielleicht konnte Fiona trotzdem von ihr bekommen, was sie sich wünschte. Sie müsste nur ein Gegenangebot finden, das für diese mächtige Frau interessant genug war. Aber steckte nicht die Kaiserin Mutter auch hinter der Vernichtung ihrer Familie? Würde sie Fiona nicht vielleicht einfach ergreifen und töten lassen, sobald sie erfuhr, daß es noch eine Überlebende gab?
Lady Caras Familie war zum Teil in der wehrhaften Burg dort hinten, ein anderer Teil war hier bei ihr. Sie hatte eine Familie, die man noch retten konnte und ein zu Hause, das man zurück erobern konnte. Sogar den Ritter, der diese Aufgabe übernahm, hatte sie an ihrer Seite.
Nein, wenigstens diese Geschichte mußte gut ausgehen, dann konnte Fiona wieder daran glauben, daß sich alles zum Besseren wenden konnte. Die Carnabys mussten gerettet werden. Und Lady Cara mußte den Kaiser ehelichen. Vielleicht konnte Fiona ihr Anliegen auch dem frisch getrauten Kaiserpaar vorbringen.
Fiona fixierte noch immer den Rücken der Kaiserin Mutter.
Solange es diese Frau gab, war sie ihres Lebens nicht sicher. Selbst wenn sie weit weg von hier in Albernia wieder unter ihrem richtigen Namen lebte, würde die Kaiserin Mutter vermutlich nicht ruhen, ehe auch sie vernichtet war. Die Ursache und auch eine vermeintliche Lösung dieses Problems lag in Fionas Stammbaum.
Aber was wenn es diese Frau nicht mehr gab?
Dann wäre es der Kaiser selbst, der eine Entscheidung treffen würde. Kannte er ihre Familie überhaupt? Verband er mit ihrem Namen überhaupt eine Bedrohung?
Fiona wußte es nicht. Aber sie wußte es von der Kaiserin Mutter.
Ihre Hand umfaßte den Griff und den Abzug der Armbrust. Sie hatte zwei Bolzen.
Einer davon reichte, um einen Menschen zu betäuben.
Aber welche Wirkung hatte die doppelte Menge?
Sollte Ser Rowan bei diesem Gottesurteil scheitern, dann würden er und Lady Cara auf den beiden Scheiterhaufen brennen, die bereits in Sichtweite aufgeschichtet waren.
Im Moment brauchte die Kaiserin Mutter die übernatürlichen Fähigkeiten Lady Caras, daher konnte sie nicht zulassen, daß der jungen Frau etwas geschah.
Dennoch würde Fiona alles tun, um ihr Versprechen Padrick gegenüber zu erfüllen. Lady Cara durfte nicht schuldig erscheinen. Nichts anderes war im Augenblick wichtig.
Fertig! Die Armbrust war gespannt und geladen. Fionas Blick traf Damians und sie nickte ihm ernst zu. Es war Tess, die sich darum kümmerte, daß er aufstehen konnte und die ihn stützte, damit er das unmittelbare Kampfgeschehen verlassen konnte. Fiona hatte sie vor ihrem Schuss mit einem Dolch in der Hand gesehen. Sie zweifelte keinen Moment daran, daß Tess sich in einem solchen Kampfgetümmel behaupten konnte. Und daß Tess sicher keine Schwierigkeiten hatte, treffen zu wollen.
Fiona versteckte die Armbrust so gut es ging in den großzügig gewickelten Falten ihres Gewandes und sah sich um. Die Kaiserin Mutter war inzwischen ein Stück weiter weg gegangen, in Richtung des Inquisitors und Padrick. Dort standen auch die beiden Trevelyan Brüder und es war merkwürdig, sich vorzustellen, daß Nolan zu ihnen gehören sollte. Nolan selbst konnte sie nirgends entdecken. Lady Cara! Wo war sie? Sollte sie jetzt und hier auf dem Platz ihre Kräfte anwenden, um zu heilen, dann hätte Fiona ihre Aufgabe verfehlt. Aber Lady Cara schien ebenfalls nicht mehr hier zu sein.
Sie sah die Frau des Händlers Belmonte mit gezogenem Säbel und die kaiserlichen Wachen, die gerade ihre Waffen streckten, die klirrend zu Boden fielen.
Da der Kampf nun zu Ende war, schnitt Ser Rowans Befehl laut und deutlich durch die plötzliche Ruhe auf dem Platz: "Ergreift sie! Bindet ihr die Hände!"
Alles war sehr schnell gegangen und so war der Befehl, die Frau gefangen zu setzen, die eben noch die Kaiserin Mutter in all ihrer Herrlichkeit und ihrem Glanz gewesen war, eine Überraschung. Selbst die Getreuen Ser Rowans folgten ihm daher eher zögernd.
Ser Rowan selbst schien außer sich zu sein vor Zorn, und offenbar war er zu allem bereit.
Langsam und vorsichtig bewegte sich Fiona über den Platz und auf die kleine Gruppe zu.
Die Kaiserin Mutter war fürs erste gestürzt. Ser Rowan hatte sie öffentlich als Verbrecherin beschuldigt. Was wäre wenn sie die Rondra-Geweihten zur Hilfe rief, die auch immernoch anwesend waren, und seltsamerweise bisher nicht eingegriffen hatten?
Daher durfte sie nicht zulassen, daß die Kaiserin Mutter jetzt um Hilfe rufen konnte.
Den Inquisitor konnte Fiona im Moment nicht sehen, aber auch er mußte daran gehindert werden, zu sprechen. Ein Bolzen war geladen, nur einer. Sie hatte nicht noch einmal die Zeit, sie Armbrust erneut zu spannen. Sie mußte abwägen und schnell entscheiden.
Dieses Mal mußte sie treffen.
30.04.2015 10:00
Und damit sind die Ansichten zu den Ereignissen ja nun fast komplett. Netter Einblick. Mir scheint ja, Fiona weiß immer noch nicht genau, was sie will :)
30.04.2015 10:13
Ist ja auch eine schwierige Angelegenheit...vorallem mit dem Hintergrund Kaiserin zu werden. Tatsächlich war ich ja gestern auch ein wenig überrascht über Caras Ansichten, die so aus mir raus sprudelten^^
Aber ein sehr schöner Blog, der alle Seiten ein wenig beleuchtet :)
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