Damián
11.02.2015
Änn
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Am blauen Himmel zogen weiße Wölkchen vorbei, während er in der Sonne trocknete. Ab und zu kreischte eine Möwe ihr schrilles Lied. Ansonsten war da nur das Meer. Das ruhige, stetige Schlagen der Wellen gegen die Felsen hatte denselben Rhythmus wie sein eigener Atem. Der Geruch von Salz und Seetang lag in der Luft.
Hätte man Damián nach seiner erster Erinnerung gefragt, er hätte gesagt, das Aufpeitschen der Gischt im Hafen. Ein stürmischer Tag an dem die wütende See einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. Seit dem suchte er die Nähe von Wasser. Wann immer er wütend oder traurig oder allein war, kam er zum Meer. Die ruhigen Wellen konnten ihn trösten, dem Sturm konnte er seinen Zorn entgegen brüllen. Das Meer hatte immer genau das parat, was er gerade brauchte. Heute war es ruhig und langweilig, genau wie sein bisheriger Tag. In Wahheit war es schon seit Tagen so. Seit seine Mutter beschlossen hatte, Elena wegzugeben, wusste er nicht mehr so recht etwas mit sich anzufangen. Er vermisste seine Schwester. Vermisste, wie ihre kleinen Finger sich um seine klammerten. Vermisste, wie sie ihn anlächelte, wenn er ihr vorsang. Er verstand nicht, warum die Kleine gehen musste und er im Haus blieb. Es hatte ohnehin nie jemand Zeit für ihn. Heute zum Beispiel hatte seine Mutter wichtige Termine und die anderen Mädchen schliefen wie immer viel zu lange. Nachdem er eine Weile ziellos im Haus herum gestreift war und versucht hatte, die Küchenbediensteten dazu zu bekommen, sich mit ihm zu beschäftigen, war er kurzerhand zu seiner Stelle an die Felsen geflüchtet. Seine Mutter hatte schon früh mit Besorgnis seine Vorliebe für Wasser zur Kenntnis nehmen müssen. Nach einem aufreibenden Nachmittag, an dem der Junge fast ertrunken war, wäre nicht ein vorbeikommender Seemann beherzt zu ihm ins Wasser gesprungen, zog sie die logische Konsequenz. Und so hatte Damián im Alter von vier Jahren schwimmen gelernt. Inzwischen, drei Jahre später, ließ man ihn die meiste Zeit allein ziehen. Vor etwa einem Jahr hatte er diese Stelle vor der Stadt entdeckt, an der man vor allen Augen geschützt war. Seit dem war dies sein liebster Platz auf Erden, den mit niemanden teilte, außer mit Yara. Aber auch die ließ heute auf sich warten.

Irgendwann zog Damián sich wieder an und machte sich auf den Weg, sie zu suchen. In der Stadt herrschte das übliche geschäftige Treiben. Fischhändler boten lautstark ihre Waren an und versuchten sich gegenseitig zu übertönen. Seemänner auf Landgang stritten sich um Huren oder versuchten sich gegenseitig unter den Tisch zu trinken. Dienstboten schlängelten sich durch die Menge um schnellst möglich zu ihren Meistern zu gelangen. Schausteller warben lautstark für ihre Kunst und Diebe übten ihre Kunst im Stillen. Damián trottete durch die Straßen, begrüßte hin und wieder eine der Huren, die er kannte und bog schließlich in die lange Gasse hinterm Fischereihafen ein. Am Ende der Gasse lebte Yara mit ihrem Großvater in einer kleinen Hütte. Er kannte sie schon ewig und niemand konnte genau sagen, wie sie sich kennengelernt hatten. Wahrscheinlich durch ihren Großvater, der das Haus seiner Mutter mit frischem Fisch belieferte. Fest stand, dass die beiden nahezu unzertrennlich waren.
In der Gasse  war es ruhiger und die langen Häuserreihen beschatteten den Weg. „Hey, wenn das nicht unser liebster Hurensohn ist!“ Damián verdrehte die Augen. Langsam wandte er sich zur Quelle der Stimme um. Nevio war ein Jahr älter als er und immer in Begleitung von mindestens drei anderen Jungs. Und aus irgendeinem Grund hatte er eines Tages beschlossen, Damián zu seinem Opfer Nummer eins zu machen. „Wie kann ich dir helfen, Nevio?“ Er versuchte ein unbekümmertes Gesicht aufzusetzen. „Für den Anfang könntest du zurück in den Fotzen-Hort kriechen, aus dem du gekommen bist. Deine Anwesenheit verpestet unsere Luft.“ Damián straffte sich innerlich. „Ja, das könnte ich bestimmt machen. Vor allem da du so nett gefragt hast... aber ich habe keine Lust.“ Nevios Begleiter machten Drohgebärden. „Schau an, der kleine Bastard versucht sich aufzuspielen.“ Die Jungen gingen ein paar Schritte auf ihn zu. „Denkt wahrscheinlich, er wäre eine große Nummer, weil ihm nie im Leben ein Mann gezeigt hat, wo es lang geht.“ Er kam noch näher und griff nach Damiáns Gesicht. „Kein Wunder, dass er so eine weibische Visage hat. Da möchte man doch am liebsten nur  rein schlagen.“ Damián versuchte sich wegzudrehen. „Neidisch oder was?“ Er ging einen Schritt rückwärts. „Wäre ich an deiner Stelle auch, bei so einer Hackfresse. Andererseits passt es ja zu dir, Fleischersohn.“
Der Schlag kam schneller als erwartet. Im nächsten Moment lag Damián auf dem Boden, Nevio über ihm. „Du verdammter Hurensohn!“ Als der nächste Schlag herabstürzte, konnte sich der Junge gerade noch zur Seite rollen. Aber da waren auch schon die Andern bei ihm und hielten ihn fest. Der nächste Hieb traf ihn in die Magengegend und er japste laut auf. Tränen stiegen ihn in die Augen. Bewegungsunfähig wie er war, nutzte er die einzige Waffe, die ihm noch blieb. „Ich bin ein Hurensohn, aber du bist ein Feigling. Brauchst die Hilfe von drei Anderen.“ Der nächste Schlag ließ ihn verstummen. Sein Kiefer knirschte. Eine scharfe Mädchenstimme unterbrach die Stille. „NEVIO CARNICERO! Was zur Hölle tust du da?“ Nevio blickte auf und erstarrte. „Yara?“ „Lasst ihn sofort los, oder soll ich losgehen um einen Wächter zu holen. Ich hab gehört, die mögen Unruhestifter gar nicht!“  Augenblicklich lockerten sich die Griffe. Damián krümmte sich zusammen vor Schmerz. Er bekam kaum mit, was als nächstes passierte und wie sich die Schritte der Jungs schließlich entfernten. „Alles in Ordnung bei dir?“  Yara reichte ihm eine Hand, damit er sich aufsetzen konnte. Er verzog nur das Gesicht. „Zeig mal her.“ Sie drehte seinen Kopf leicht, um die Kopfverletzung besser zu sehen. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. „Au!“ Er schaute sie zornig an. „Tut mir leid.“ Er schlang die Arme um die Knie und blickte zu ihr hoch. „Ist schon irgendwie peinlich, dass ich von einem Mädchen gerettet werden muss.“ Sie hob die Augenbrauen. „Kein Problem. Das nächste Mal gehe ich einfach weiter und tue so, als ob ich dich nicht kennen.“ Er seufzte. „Was ich sagen wollte...Danke!“ Sie lächelte. Als sie ihn weiter untersuchte, fielen ihr die braunen Locken ins Gesicht,  „Ich verstehe nicht, warum du immer wieder von denen ärgern lässt. Ignoriere sie doch einfach.“ „Ich kann solche Leute einfach nicht leiden.“ Er biss die Zähne zusammen, als sie sich seinen Rippen zuwandte. „Ich meine, was macht ihn besser als mich? Seine Geburt? Und das gibt ihm das Recht, auf Leute wie mich herabzusehen und sie wie Dreck zu behandeln? Jeder ist doch was besonderes, egal ob er zufällig in der richtigen Familie geboren wurde oder nicht. Jeder hat seine guten Seiten. Was ergibt das für einen Sinn?“ Yara schmunzelte. „Schon klar, Verteidiger der Unterdrückten. Ich glaube eher, du hast überhaupt nicht darüber nachgedacht.“ Sie half ihm auf. „Die Wunden sollte versorgt werden, aber vermutlich wird nichts einen bleibenden Schaden hinterlassen.“ Damián nickte. Schwerfällig humpelte er nach Hause.

„Damián das muss aufhören! Du hast versprochen, dass es aufhört.“ Seine Mutter war außer sich vor Zorn. Sie war oft wütend auf ihn, selbst wenn er wie jetzt eigentlich nichts dafür konnte. „Musst du dich immer wieder mit diesen Jungs anlegen?“ „Die haben angefangen. Und da habe ich ihnen meine Meinung klargemacht.“ „In dem du dich von ihnen verprügeln lässt?“ Damián verschränkte die Armen. „Sie waren ja auch zu viert.“ Seine Mutter schnaufte. „Dann war es nicht sonderlich klug von dir, dich auf einen Kampf einzulassen, den du eh nicht gewinnen kannst.“ Dazu fiel Damián nichts mehr ein. Beide schwiegen eine Weile. „Gut, geh dich waschen und dann schau nach, ob du noch etwas in der Küche helfen kannst“, sagte sie schließlich. Damián ging zur Tür. Kurz bevor er sie erreichte, murmelte er: „Ich werde mich nie für das schämen, was ich bin, das kann ruhig jeder wissen.“ Seine Mutter holte tief Luft, um eine neu flammende Rede zu beginnen. Doch dann stockte sie und als sie wieder sprach klang ihre Stimme wesentlich sanfter. „Es ist gut, vermeintliche Schwächen wie ein Schild vor sich zu tragen. Das sorgt dafür, dass andere dich damit nicht verletzen können.“ Sie ging auf ihn zu und kniete sich vor sich hin. „Aber manchmal muss man eine Situation im Ruhigen abwägen, eine Strategie finden. Man kann Leute, die einem Unrecht tun nur bekämpfen, wenn man ihre Schwächen kennt und zu nutzen weiß. Nicht indem man ihnen seine eigenen Schwächen engegenbrüllt. Es wird nicht immer jemand da sein, der dich beschützt.“ Sie strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich werde nicht immer da sein, um dich zu beschützen. Und deshalb musst du lernen, stark zu sein und auf dich selbst aufzupassen.“ Sie gab ihn einen Kuss auf die Stirn. „Und nun geht deine Aufgaben erledigen.“  
An diesem Abend schlich er sich zum ersten Mal aus dem Haus, um seine kleine Schwester bei ihren Pflegeeltern zu besuchen.
12.02.2015 17:06
Und alle Frauen so: NOOOOOOOIN! Nicht ins Gesicht!
12.02.2015 17:30
Und so lernte Damian, andere Waffen zu nutzen, als seine Fäuste... :)
Teil 1 klingt so, als kämen da noch mehr andere Teile... ?
Bin gespannt!
13.02.2015 13:01
Das muss sich noch zeigen, ob er was daraus gelernt hat ;)

Ja, es wird mehrere Teile geben. Teil 2 und 3 sind teilweise schon zu Papier gebracht.
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