Rowan Trevelyan
18.06.2014
Momper
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Lynn war zum Geräusch des aufbrechenden Heeres aufgewacht. Sie hatte eine Weile aus dem Fenster zugeschaut, wie Ritter und Soldaten ihre Pferde sattelten, Proviant und Reisegepäck verstauten und miteinander scherzten. Sie konnte nicht verstehen, wie auch nur einer von den Männern in der Stimmung für Scherze sein konnte. Sie ritten in den Krieg. Viele von ihnen würden nie wieder nach Hause kommen.
Wie alle südlichen Fürsten war auch Lynns Vater vom Kaiser mit der Aufgabe betraut worden, durchziehende Heere zu beherbergen und mit Proviant zu versorgen, wenn sie Almada auf dem Weg nach Süden passierten. Schon seit Wochen kamen Gruppen von Kriegern unter Bannern der großen Fürsten, blieben ein oder zwei Nächte, warteten manchmal noch auf eine Nachhut und brachen dann auf, um Platz zu machen für die nächsten.
Brennholz für den Ofen.
Lynn kannte keinen der Männer. Und ihr Vater hatte auch dafür gesorgt, dass sie keinen davon kennenlernte. Sie war jetzt 14 und an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Und sie hatte ein paar Geschichten darüber gehört, was Männer mit schönen Mädchen anstellen konnten, wenn sie ohnehin mit ihrem baldigen Tod rechnen mussten und vermutlich nie wieder eine Frau sehen würden. Sie hatte mit keinem der Männer gesprochen und sah sie auch immer nur dann, wenn sie die Burg durch das Südtor verließen, das sich unter ihrem Fenster befand.
Gerade wollte sie nach ihrer Zofe rufen, damit sie ihr in die Kleider helfen konnte, als es zweimal knapp an der Tür klopfte, und noch ehe Lynn etwas sagen oder tun konnte, wurde auch schon geöffnet und ein Mann in Rüstung trat ein. Lynn war so überrumpelt, dass ihr nicht einmal der Gedanke kam, um Hilfe zu rufen. Der Mann schloss die Tür schnell hinter sich und drehte sich dann zu ihr um. Er war noch sehr jung, wohl kaum älter als sie. Sein blondes Haar war zu einem Zopf nach hinten gebunden. Über einem Kettenpanzer trug er einen Wappenrock in Rot und Gelb, auf dem eine schwarze Ziege prangte.
Ihr gingen allerlei Dinge durch den Kopf, die sie hätte sagen sollen.
Habt Ihr den Verstand verloren?
Wisst Ihr, wer ich bin?
Raus hier!
Ich rufe die Wachen!

Stattdessen starrte sie den jungen Mann verblüfft an.
"Rowan.", stellte sie fest. Er war ein Mann geworden. Sie hatten sich vor drei Jahren zuletzt gesehen, und Lynn erinnerte sich an einen langgliedrigen Jungen mit dünnen Armen und blondem Stoppelhaar. Seitdem hatten sie sich viele Briefe geschrieben, aber sie hatte sich Rowan noch immer als den elfjährigen Jungen vorgestellt, der ihr bei ihrer Abreise aus Hügeltrutz so lange nachgesehen hatte, bis die Nebel des Berges ihn verschluckt hatten. Dieser Rowan hier war deutlich kräftiger und hochgewachsener. Ihr gefiel, was sie sah.
Er betrachtete sie ebenfalls eine Weile mit offenem Mund, bis er schließlich realisierte, dass er ein Mädchen – die Tochter des Burgherren noch dazu – in ihrem Schlafrock betrachtete.
"Götter! Ich dachte... das... vergib mir.", stotterte er und wand sich hochrot zur Tür um.
Lynn hatte ihre unangemessene Kleidung ebenfalls vollkommen vergessen. Jetzt griff sie rasch nach ihrer Schlafdecke und hüllte sich darin ein.
"Ich sollte dich hinauswerfen. Was fällt dir ein?" Sie versuchte, ihn anzuherrschen, aber ihr fiel auf, wie wenig Zorn in ihrer Stimme lag. "Was tust du hier?", fügte sie sanfter hinzu und fand die Frage sogleich dumm. Ihr war klar, warum er hier war. "Du reitest auch in den Krieg." Ihre Stimme konnte die Erschütterung nicht verbergen.
"Ich habe mich hereingeschlichen.", antwortete er mit einer deutlichen Portion Schalk in der Stimme ohne sich umzudrehen. "Ich wollte dich einmal gesehen haben, bevor ich aufbreche. Wenn ich schon einmal hier bin. Auch wenn ich jetzt eigentlich nur die Tür sehe."
"Dein eigener Vater schickt dich in den Krieg?"
"Der König hat all seinen Vasallen befohlen, Männer zu schicken. Das betrifft auch Ser Renard. Ich bin sein Knappe. Also begleite ich ihn."
Lynn presste die Lippen zusammen.
"Ich habe all deine Briefe bei mir. Was auch immer im Süden wartet, wenn ich sie lese, werde ich keine Angst haben.", sagte er und betrachtete immernoch die Tür. "Ich möchte dich etwas fragen, ehe ich gehe." Er atmete tief durch. "Ich hoffe, ich mache mich nicht lächerlich."
Da war wieder der Junge aus Hügeltrutz, den sie lieb gewonnen hatte. Lynn machte einen Schritt auf ihn zu.
"Frage mich.", forderde sie ihn leise auf.
"Wenn ich aus dem Krieg zurückkehre – und das habe ich vor – und wenn Ser Renard mich zum Ritter geschlagen hat und ich ein Mann bin, dann... Dann will ich um deine Hand anhalten. Wenn du das auch möchtest. Möchtest du?"
Lynn hatte tatsächlich nicht damit gerechnet. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Ohren schoss und sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete. Sie hatte sich immer gewünscht, dass der Moment, an dem ihr ein Mann einen Antrag machte, irgendwie romantisch sein würde. Sie hatte sich immer gewünscht, dass es ein Mann wäre, dessen Namen sie seit langer Zeit heimlich in ihr Kissen flüsterte, so dass der Augenblick, an dem er ihr seine Liebe endlich gestand, zu einem berauschenden Moment werden würde, an dem die restliche Welt aus ihrer Wahrnehmung verschwände. Aber sie hatte noch nie den Namen von irgendwem ins Kissen geflüstert. Eigentlich kam ihr allein der Gedanke sehr albern vor. Die restliche Welt verschwand außerdem keineswegs aus ihrer Wahrnehmung. Sie hörte die Geräusche der Männer unten im Hof und sie spürte die Kälte an ihren nackten Füßen. Und ihr wurde schlagartig grauenhaft bewusst, dass ihre Zofe jederzeit in ihr Zimmer kommen konnte. Es würde eine schlimme Bestrafung für sie und Rowan nach sich ziehen, wenn ihn hier jemand fand und sie ihre Blöße nur mit einem Schlafrock und einer Decke verbarg. Das war alles sehr viel auf einmal. Rowan wartete auf eine Antwort. Noch heute würde er in den Krieg reiten und vielleicht unten im Süden sterben, durchbohrt von der Waffe eines Wilden, noch ehe er ganz erwachsen werden konnte. Lynn spürte, dass ihr der Gedanke in der Brust weh tat. Sie mochte ihn, da war sie sich sicher. Aber wie einen Bruder oder wie einen richtigen Mann? Aber waren Brüder denn keine richtigen Männer? Götter, wie verwirrend das alles war!
Konzentriere dich, Mädchen!
Es konnte nur einen Weg geben, die Antwort so schnell zu finden. Sie ging leise auf ihn zu und blieb hinter ihm stehen, während sie die Decke zu Boden gleiten ließ.
"Sieh mich an.", sagte sie. Er drehte sich zu ihr um und schluckte, als er die Formen ihres Körpers nun viel deutlicher erkennen konnte. Dann legte sie ihre rechte Hand an seine Wange und zog sein Gesicht sacht nach unten, während ihre Lippen seine berührten. Sie hatte noch nie einen Jungen geküsst und sie wusste nicht, ob sie es richtig machte. Aber es fühlte sich vollkommen richtig an. Und als Rowan den Kuss erwiderte, da wusste sie, dass sie nie wieder einen anderen Jungen küssen wollte.
"Das ist meine Antwort.", flüsterte sie, und sie fühlte sich, als wäre sie betrunken. "Ich werde auf dich warten."
04.08.2014 18:32
Wie romatisch!
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