Rowan Trevelyan
25.05.2014
Momper
Kommentare: 1
Das klappernde Geräusch der Holzschwerter hallte aus dem Übungshof hinauf in alle Räume von Hügeltrutz. Ungewöhnlich war das nicht. Aellin hob deshalb auch erst dann den Kopf, als sie bemerkte, dass sich an den großen Fenstern des Ganges vor dem Nähzimmer eine Gruppe Bediensteter versammelte und gespannt nach unten blickte. Lynn schien das auch zu bemerken. Sie warf Aellin einen fragenden Blick zu, welche den Blick an Wykka weitergab, die die Stickarbeiten der Mädchen anleitete. Erst als die alte Frau schmunzelnd nickte, standen die Mädchen auf und gingen so angemessen langsam zum Fenster, wie es sich für junge Damen gehörte.
Natürlich konnte Lynn bereits über den Fenstersims hinwegsehen. Ihr Blick erhellte sich, als sie mit Leichtigkeit das Kinn auf den grauen Stein legte und mit Interesse das Treiben im Hof beobachtete, während Aellin nicht einmal so groß wie der Sims hoch war. Aellin ärgerte sich ein bisschen, wie sie es immer tat, wenn sie sich mit Lynn verglich. Lynn war sieben, gerade mal ein Jahr älter als Aellin, aber sie war bereits einen Kopf größer und zierlich wie eine Blume, während Aellin kurz und pummelig war.
Sie ist eine Rose. Und ich bin eine Ziege. Määh!
Lynn lebte schon fast ein Jahr bei ihnen als Mündel. Jeder liebte das Mädchen aus dem Süden auf den ersten Blick. Lynns Haar hatte die Farbe von süßem Honig. Ihre Augen glichen dem Licht eines kühlen Sommermorgens. Aellin fand, dass ihr eigenes Haar dagegen in Farbe und Beschaffenheit an die Borsten eines Besens erinnerte. Und ihre Augen hatten die Farbe von brackigem Moos, auch wenn Mutter immer sagte, dass Aellins Augen der Farbe nach dem Grün eines saftigen Waldes glichen. Aber Mütter sagten sowas sicher immer zu ihren Töchtern.
Es war nicht so, dass Aellin Lynn nicht mochte. Niemand konnte Lynn nicht mögen. Sie beneidete sie und hoffte, dass sie sich an ihrem siebten Geburtstag auch in eine so schöne Blume verwandeln würde. Aber danach sah es einfach nicht aus. Aellin würde für immer klein und dick bleiben mit Borsten auf dem Kopf und faulem Moos in den Augen. Da war sie sich ganz sicher.
"Darf ich Euch helfen, Milady?", fragte Cinlan – Vaters Kämmerer – und ohne die Antwort abzuwarten legte er seine Hände unter ihre Arme und hob sie auf den Sims. Er ließ sie nicht los, selbst als er sicher war, dass sie sicheren Halt gefunden hatte. Aellin blickte nun auch nach unten, während ihre kleinen Finger seine großen Hände umklammerten.
Unten im Hof standen die Männer in Übungsrüstungen. Sie schwitzten wie sie es immer taten, wenn sie Kämpfen übten. Aellin brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, was heute so besonders war, um so viel Aufmerksamkeit zu erregen.  In der Mitte im prallen Sonnenlicht erkannte sie Onkel Aidan, und vor ihm, mit gekreuzten Übungsschwertern, standen sich Ciaran und Rowan gegenüber.
Aellin fand, dass Ciaran aussah wie ein richtiger Lord. Er war jetzt elf und damit älter, als sie es sich überhaupt vorstellen konnte. Von der Größe her hatte er Vater fast erreicht. Und er war genauso schlank. Sein braunes Haar hatte er nach hinten gekämmt. Die linke Hand hatte er auf den Rücken gelegt und stolzierte um den kleineren Rowan herum.
Rowans Haar hatte die Farbe von Stroh und heute war es auch genauso struppig. Es klebte ihm in der Stirn und im Nacken. Wie Aellin wollte er nicht so richtig wachsen, schien es. Er war klein für einen Achtjährigen und seine Beine waren dick und kurz. Aellin konnte erahnen, wie sie aussehen würde, wenn sie in ferner Zukunft acht Jahre alt wäre.
Onkel Aidan sagte den beiden etwas, das Aellin von hier oben nicht hören konnte. Die beiden Jungen nickten und begaben sich dann erneut in Kampfposition. Und dann ging es los.
Rowan setzte seinem Bruder hart zu. Er führte die Übungswaffe zweihändig, weil sie ihm ansonsten viel zu groß gewesen wäre. Ciaran griff nicht an. Er begegnete Rowans Angriffen mit seinem Schwert, ohne dabei getroffen zu werden. Das alles schien Rowan mehr anzustrengen als Ciaran. Hin und her. Hin und her.
Aellin fand schließlich, dass das alles eigentlich gar nicht so spannend war und wollte gerade wieder zurück zu Wykka gehen, als sich rechts neben ihr der Bauch ihrer Mutter in ihr Blickfeld schob. Als sie hochschaute, erkannte sie, dass nicht nur Mutter, sondern auch Vater hinzugekommen waren, um dem Treiben im Hof zuzusehen.
Vaters Gesicht war forschend und ruhig, und wie immer konnte Aellin nicht sagen, ob er froh oder aufgeregt oder sonstwie gestimmt war. Mutter hingegen schien in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft alles anzustrengen. Ihr Gesicht war gerötet und verschwitzt, obwohl sie versuchte, stolz und fürstlich auszusehen. Aellin betrachtete den kugelrunden Bauch ihrer Mutter neugierig, legte dann ein Ohr daran und fragte sich, wie ihre neue Schwester wohl sein würde. Würde sie so schön sein wie Lynn oder Mutter? Dass es ein Mädchen werden würde, davon war Aellin überzeugt. Mutter hatte gesagt, dass das Kind sehr ruhig in ihrem Bauch war – so wie damals, als Aellin noch dort drin gewesen war. Und dass Ciaran und Rowan sich viel bewegt hätten. Aellin konnte sich nicht vorstellen, wie es war, wenn sich ein Junge in ihrem Bauch bewegte. Aber sie wusste eines ganz genau: Jungs waren laut und Mädchen leise. Sie freute sich schon auf die Zeit, in der sie nicht mehr das einzige Mädchen bei den Trevelyans war. Und eine kleine Schwester zu haben... Sie mochte den Gedanken.
Ein Raunen ging durch die Menge der Zuschauer und Aellin blickte wieder nach unten. Rowan lag wie ein Käfer auf dem Rücken und Onkel Aidan half ihm gerade wieder auf die Beine. Ciaran wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte stolz umher. Erst als sein Blick auf die Gestalt von Vater traf, wurde er ernst. Er flüsterte Rowan etwas zu, woraufhin der nun auch zu Vater blickte und sich rasch straffte. Dann begannen beide wieder mit ihrem Kampf. Aellin hatte das Gefühl, dass Rowan jetzt noch mehr Kraft in seine Schläge steckte. Und diesmal parierte Ciaran auch nicht nur. Er schlug zurück und versuchte, seinen Bruder zu treffen. Aus irgendeinem Grund waren beiden jetzt plötzlich viel besser und schneller und stärker, schien es ihr. Und dann traf Ciaran Rowan mit dem Holzschwert mitten ins Gesicht, als der sein eigenes Schwert nicht schnell genug gehoben hatte. Aellin konnte sich anhand des klatschenden Geräusches den zwiebelnden Schmerz vorstellen. Rowan fiel seitlich hin und legte schützend die Hände über den Kopf. Sein Schwert landete eine Armlänge neben ihm. Sofort kümmerten sich Ciaran und Onkel Aidan um ihn. Aellin war sich sicher, dass sie an Rowans Stelle schreien und kreischen würde vor Schmerz. Und als sie sah, dass aus Rowans Mund ein Schwall Blut schwappte, fuhr sie mit der Zunge zu der Lücke in ihrer oberen Zahnreihe, wo sie vor drei Tagen einen ihrer Schneidezähne verloren hatte. Das hatte wehgetan. Und der Zahn war schon locker gewesen, als sie ihn rausgezogen hatte.
"Genug gekämpft für heute.", hörte sie Onkel Aidans kräftige Stimme, während er Rowan erneut aufhalf. Ciaran stellte sein Schwert in den Waffenständer und wandte sich zum Gehen. Rowan hob sein Schwert auf. "Noch eine Runde.", sagte er. Ciaran blieb stehen und blickte seinen kleinen Bruder fragend an, als hätte er nicht verstanden, was er gerade gesagt hatte. "Noch eine Runde.", wiederholte Rowan so laut, dass es alle hören konnten und ging in Position. Ciaran stockte kurz, blickte dann noch einmal hoch zu Vater und nickte Rowan knapp zu. "Noch eine Runde.", antwortete er und zog seine Übungswaffe wieder aus dem Ständer.
Aellin war sich nicht sicher, ob sie irgendwas verpasst hatte. Sie an Rowans Stelle hätte bestimmt keine Lust mehr gehabt.
04.08.2014 18:10
Awww...die ist ja niedlich!
Name E-Mail
www
 
Nachricht
 
Bitte trag das Ergebnis nebenstehen ein:

2 minus 2

=