Simon Quinn
10.10.2013
Momper
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Cleveland, Woodland Hills. Mittwoch, der 15. April 1998, 10:37 Uhr. 13,6°C. Bewölkt mit 67% Regenwahrscheinlichkeit. Ein perfekter Tag für eine Leiche.
Das Haus im Hilgert Drive 56 war eines jener Gebäude, die in den 1950ern eilig errichtet worden waren und sich dank ihrer niedrigen Anschaffungskosten noch heute einer hohen Beliebtheit in der erwerbstätigen amerikanischen Mittelschicht erfreuten. Alle Gebäude in der Straße hatten einen ungefähr gleichen Aufbau. Woodland war ein ruhiges Wohnviertel ohne große Auffälligkeiten, aber die Anwesenheit eines Streifenwagens der Polizei und eines mobilen Einsatzfahrzeuges der Gerichtsmedizin verhießen Aufregung. Das Gras im Vorgarten war von den Schaulustigen bereits zertreten, auch wenn der Officer, der den Häusereingang bewachte, sich jede Mühe gab, die Leute zu zerstreuen.
Allein ein Techniker, der sich an den Kabelmasten zu schaffen machte und irgendwelche Modifikationen vornahm, die den Anwohnern in Bälde Zugang zu allen erdenklichen Kabelprogrammen gewährleisten würden, gab diesem Morgen einen Hauch mittelständischer Normalität. Doch als ein dritter Wagen vor dem Haus hielt, dem zwei zivil gekleidete Polizisten entstiegen, hielt selbst er inne und beobachtete von seiner erhöhten Position aus das Geschehen. Die beiden hinzugekommenen Polizisten waren beide Mitte 20. Einer von beiden war eindeutig Afroamerikaner. Dem anderen war seine indigene Abstammung anzusehen, auch wenn die meisten ihn wohl schlicht als Latino bezeichnet hätten. Die Dienstmarken wie Schilde vor sich haltend machten sie sich Platz, bis sie schließlich bei dem ebenfalls dunkelhäutigen Officer in Uniform ankamen, der im Häusereingang wartete.
„Detectives Simon Quinn und Russell Simmons, Mordkommission.“, sagte der dunkelhäutige Polizist und deutet auf seinen Partner und sich. Noch ehe der Officer antworten konnte, erklang die Stimme von Talbott von innen. „Quimmons! Kommt rein, Jungs, ehe nichts mehr da ist.“
Talbott trug seine Arbeitskleidung. Sein weißer Kittel und die Gummihandschuhe identifizierten ihn als Gerichtsmediziner. Ohne weiter auf den Officer zu achten, betraten die beiden Detectives das Haus und steckten ihre Marken weg.
„Was haben wir?“, fragte Simmons, während er und Quinn sich aufmerksam im Haus umsahen und selbst blaue Handschuhe anzogen.
„Das Opfer hieß Peter Cullen. 43 Jahre alt. Das hier ist sein Haus. Nicht verheiratet. Keine Kinder. Und sollte er eine Freundin haben, dann ist sie zumindest seit drei Tagen nicht hier gewesen. Solange ist er nämlich schon tot. Ich hab den Todeszeitpunkt auf zwischen 22 und drei Uhr morgens in der Nacht von Sonntag auf Montag begrenzt. Genaueres kann ich erst nach einer Obduktion sagen.“
„Todesursache?“, fragte Simmons.
„Auf Cullen wurde eingestochen und er ist schließlich verblutet. Ich habe bisher acht Stichwunden gefunden. Von der Größe her tippe ich auf ein Messer. Drei der Wunden befinden sich im Hals- und Lungenbereich. Diese drei waren meiner ersten Einschätzung nach auch die letalen.“
Die drei Männer hatten inzwischen das Wohnzimmer erreicht. Der Raum ließ auf einen Kampf schließen. Einige Möbel waren umgekippt und beschädigt und hier und da lagen zerbrochenes Geschirr und kleinere Gegenstände auf dem Boden verteilt herum. Die Blutspritzer an den Wänden, auf dem Boden und den Möbeln vervollständigten das Bild. Cullens Leiche lag auf der Seite zwischen einem Sofa und dem erloschenen Kamin. Er war umgeben von einer Blutlache, die so groß war, dass sie ihn komplett umflossen hatte, ehe das Blut geronnen war.
„Er hat sich gewehrt.“, fasste Simmons den Eindruck zusammen. Dann warf er einen Blick zurück zur Tür, wo der jüngere Officer immer noch stand und nach außen sicherte.
„Officer...“, hob Simons an.
„Faulkner, Sir.“, ergänzte der Polizist und kam ein Stück näher.
„Officer Faulkner, ich nehme an, Sie haben die Leiche gefunden.“
Der Mann nickte. „Ich fahre Streife in dem Gebiet. Heute Morgen waren Baptisten unterwegs und haben Broschüren verteilt. Es gibt nicht weit von hier eine Kirche von denen. Als sie dann am Haus von Mr. Cullen waren, nahmen sie einen starken Verwesungsgeruch wahr.“
Simmons runzelte die Stirn. „Woher zur Hölle wissen Baptisten, wie Verwesung riecht?“
„Tja, vielleicht schauen die auch manchmal Krimis.“ Faulkner schmunzelte kumpelhaft. Simmons ging nicht darauf ein.
„Ich nehme an, Sie haben schon ein paar Nachbarn befragt? Gibt es irgendwelche Hinweise auf ein Motiv?“
Faulkner nahm seinen Notizblock hervor und blätterte.
„Gier.“ Faulkner und Simmons schauten beide auf. Quinn war zu ihnen gekommen. „Gier und Neid. Ich bin mir sicher, dass der Mörder das Opfer nicht kannte. Oder nur flüchtig. Aber er wusste, dass das Opfer etwas besaß, dass er haben wollte. Er fand... er fand es ungerecht, dass das Opfer im Besitz dieses... irgendeines besonderen Gegenstandes war.“
Faulkners Gesicht zeigte deutlich Verwirrung. Simmons hob beide Brauen, schien aber nicht überrascht von der Einschätzung, die Quinn keinesfalls haben konnte. Dann wandte er sich wieder an Faulkner.
„Ist irgendetwas darüber bekannt? Besaß Mr. Cullen etwas, das andere nicht besitzen?“
„Tja... ja. Sie beide sehen nicht besonders viel fern, oder?“, antwortete Faulkner. Als weder Simmons, noch Quinn etwas dazu sagten, fuhr er fort. „Mr. Cullen hat kürzlich in einem Fernsehquizz den Millionen-Koffer gewonnen. Einen... einen Koffer voller Bargeld. Eine Million Dollar.“
Simmons und Quinn schauten sich an.
„Sowas bleibt kein Geheimnis in so einem Viertel.“, sagte Simmons. „Und damit hat jeder ein Motiv, der diese Sendung gesehen hat.“
„Wir brauchen eine Aufzeichnung von der Show.“, fügte Quinn hinzu. „Wenn der Koffer der Grund für den Mord ist, wäre es gut, wenn wir wüssten, wie er aussieht.“
„Also schön.“, fuhr Simmons fort, „Quinn, lass uns hier drin alles aufnehmen, was wir finden können. Faulkner, lassen Sie sich von jedem der Nachbarn erzählen, was er zur Tatzeit gemacht, gehört und gesehen hat. Zum Glück stehen die ja alle vor der Tür.“
Damit begann der akribische Teil. Während Talbott weitere Spuren an der Leiche sicherte und Faulkner draußen jeden einzelnen befragte, nahmen Simmons und Quinn jedes interessant erscheinende Detail im Haus des Opfers auf.
Das Geräusch war leise, aber es unterbrach das konzentrierte Schweigen wie ein Schuss. Ein Rascheln und dann ein dumpfes Geräusch. Simmons hob an, etwas zu sagen, aber Quinn legte den Zeigefinger der Linken über die Lippen und zog seine Dienstwaffe. Dann konzentrierte er sich einen Augenblick und deutete mit einem Nicken zu der kleinen Kellertür unter der Treppe. Simmons tat es ihm gleich und holte die Waffe aus dem Holster. Mit leisen Schritten näherten die beiden sich der Tür.
„Jemand ist dort unten.“, flüsterte Quinn beinahe unhörbar, als Simmons nahe genug heran war. „Er ist verängstigt und... und schwach oder... vor allem verängstigt. Vielleicht ein Zeuge. Vielleicht hat Cullen doch ein Kind.“
„Bruder, Du weißt, dass es mich jedesmal verängstigt, wenn Du so was abziehst.“, raunte Simmons und stellte sich sichernd neben die Tür. Quinn bewegte leise die Klinke und öffnete. Als sich ihnen niemand entgegen warf und auch kein weiteres Geräusch zu hören war, bewegten sich die beiden Männer leise die Treppe nach unten. Als sie den Kellerraum erreicht hatten und ohnehin nicht mehr unauffällig waren, griffen sie zu ihren Taschenlampen. Der Raum war recht ordentlich. Eine Handwerksbank nahm eine Seite in Beschlag. Als Versteck für einen Menschen konnten höchstens die beiden Stahlschränke dienen. Ein schneller Blick offenbarte, dass sie leer waren. Simmons holsterte die Waffe. „Hier ist niemand. Vielleicht ist einfach nur was umgefallen. Oder es war gar nicht hier drin.“, sagte er.
Quinn schien ihn gar nicht zu beachten. Beinahe traumwandlerisch durchmaß er langsam den Raum, holsterte seine Waffe ebenfalls und kam dann an der Werkbank zum Stehen.
„Was zur...“, hob Simmons an, aber sein Partner unterbrach ihn.
„Es ist hier. Es hat Angst.“
„Fuck, Simon, hör auf mit so was. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich Dich für einen kleinen Psycho halten.“
Quinn ging in die Hocke und ließ das Licht der Taschenlampe unter der Werkbank entlangwandern. Dann nahm er mit schnellen Bewegungen die Lampe in den Mund und schob eine hölzerne Kiste beiseite.
Der kleine schwarze Labradorwelpe kniff die Augen zusammen, als das Licht ihn frontal traf. Ein leises Winseln entwich seiner Kehle, aber er war zu schwach, um sich irgendwie zu wehren, selbst als Quinn ihn behutsam unter dem Tisch hervorhob. Die Anspannung wich deutlich sichtbar aus Simmons, als er den Hund sah.
„Großartig! Da haben wir einen Zeugen. Es wäre nur gut, wenn er irgendeine Sprache beherrschen würde, damit wir ihn befragen können.“, sagte Simmons und machte Anstalten, wieder nach oben zu gehen. Quinn nahm den Welpen auf einen Arm und betrachtete ihn. Dabei hielt er die Lampe so, dass sie dem Tier nicht mehr in die Augen leuchtete. Der Hund hatte offenbar seit dem Mord nichts mehr gefressen. Sein schwarzes Fell war staubig. Um den Hals trug er ein braunes Lederband, an dem ein kleines Namensschild baumelte. Jack.
„Ein Hund wird reagieren, wenn er dem Mörder seines Besitzers begegnet.“, entgegnete er schließlich, bevor Simmons den Treppenabsatz erreicht hatte.
„Das kann ja sein. Aber die Aussage eines Hundes wird vor keinem Gericht bestand haben.“, sagte Simmons nach einem kurzen Moment. „Steck ihn ins Auto und such dann weiter nach Spuren. Wir lassen ihn nachher untersuchen. Vielleicht gibt es ja noch irgendwas Verwertbares in seinem Fell oder Kot oder was weiß ich.“
Quinn trug den Welpen die Treppe nach oben. Einem Impuls folgend verdeckte er dem Hund den Blick auf die Leiche, als er ihn aus dem Haus brachte. Jacks Kopf lehnte an Quinns Schulter, als er an den Schaulustigen vorbei getragen wurde.
Gerade hatten sie das Auto erreicht, als der Hund noch einmal die Kraft aufbrachte, den Kopf zu heben. Die Mischung aus Furcht, Erschrecken und Zorn, die Quinn in diesem Augenblick wahrnahm, war überwältigend. Er folgte dem starrenden Blick des Welpen. Jack fixierte den Techniker, der immer noch auf seiner Leiter stand und wie alle anderen das Geschehen vor dem Haus verfolgte. So lange er konnte, starrte der Welpe den Mann an und wollte scheinbar nicht die Augen von ihm lassen.
Als Quinn das Haus wieder betrat, zog er sich bereits die Handschuhe aus.
„Russell, ich fahre zu einem Tierarzt.“
„Was? Wir sind hier noch nicht fertig.“
„Der Hund ist die beste Spur, die wir haben.“
„Simon, hier gibt es Fingerabdrücke, DNS von vermutlich zwei Personen. DAS ist eine Spur.“
Quinn atmete durch. Es war nie leicht, das zu erklären. Nicht einmal Simmons.
„Hör zu,“, sagte er, „ich bin mir ziemlich sicher. Der Hund hat mir bereits eine Spur gezeigt.“
„Wa... Quinn, Du verarschst mich doch.“
„Während ich beim Tierarzt bin, werde ich rumtelefonieren und rausfinden, welche Kabelgesellschaft hier für die Anschlüsse verantwortlich ist.“, fuhr Quinn fort, ohne auf Simmons' Einwand zu reagieren, „Der Mann, der hier die Kabel verlegt, den hast Du doch auch gesehen. Wir brauchen seinen Namen, sein Foto, seinen Arbeitgeber, Informationen über seine Familie und seine Freunde. Und all das, ohne dass er was davon merkt.“
„Was? Der Typ? Warum?“
„Weil ich glaube, dass dieser Mann unser Mörder ist. Nur so ein Gefühl. Aber wenn Du hier auch nur ein Haar findest, das nicht Cullens DNS hat, dann verwette ich meinen Arsch darauf, dass es von ihm stammt.“
Damit wand Quinn sich zum Gehen. Dann blieb er nochmal stehen.
„Sag mal, was passiert eigentlich mit den Haustieren von Opfern?“, fragte er.
Simmons schüttelte überrumpelt den Kopf. „Keine Ahnung. Ich denke, sie werden an Familie oder Freunde verschachert. Und wenn sich da keiner findet, wandern sie in ein Heim.“
Quinn nickte und verließ das Haus.
10.10.2013 21:22
Ein schöner, plastischer Einblick in Simons Vergangenheit. So war das also mit Jack!
Schön, zu sehen, daß Simon sich nicht so sehr verändert hat.
Der kleine Psycho...  ;)
12.10.2013 12:13
Nach dem gründlichen lesen bestätige ich hier meinen anfänglichen Eindruck: Ich kann mir Quinn förmlich am Tatort vorstellen. Das klingt wirklich alles sehr nach ihm.

„Der Hund ist die beste Spur, die wir haben.“ :)
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