Penelope war acht Jahre alt und lag in ihrem Bett unter der schweren Bettdecke. Heute besaß kaum noch Jemand solch eine Decke, mit dicken Daunen ausgestopft, viel zu schwer für ein Kind in ihrem Alter, ein Relikt ihrer Großmutter. Den Bezug hatte man mit kleinen Einhörnern bedruckt. Das war moderner, doch der Bezug konnte die Massen von Decke kaum halten. Sie sah aus wie ein aufgeblasener Sack voller quadratischer Ballons, der jeden Moment platzen konnte. Hier fühlte sich Penelope geborgen. Nichts konnte durch die riesige Decke hindurch kommen. Niemand konnte ihr hier wehtun. Alles hier war ganz einfach und es war warm. Sie blinzelte zum Fenster. Die Sonnenstrahlen kitzelten an ihrer Nase... Doch die Sonne konnte warten. Morgen vielleicht... Morgen konnte sie vielleicht wieder aufstehen.
Es klopfte an der Tür, dann öffnete sie sich. „Penelope, aufstehen.“ sagte ihre Mutter. „Penelope, der Kakao ist fertig.“ Sie rührte sich nicht unter der Decke. „Penelope komm. Es ist ein wunderschöner Tag.“
„Ich kann nicht.“ sagte sie. „Ich hab Kopfschmerzen und Halsschmerzen und meine Beine tun mir auch weh. Ich kann heute nicht aufstehen. Morgen vielleicht.“
„Penelope, du kannst nicht den ganzen Tag im Bett verbringen. Schau mal, wenn du im Bett bleibst verschrumpelst du ganz dolle und siehst dann aus wie Oma.“
Penelope runzelte die Stirn. Das hatte ihre Mutter noch nie gesagt. Sie lugte unter der Decke hervor, doch die Sonne blendete, so dass sie ihr Gesicht nicht richtig erkennen konnte. Und der Geruch... Sie roch nach Opa... nach Tabak.
„Ich kann nicht Mama.“ sagte sie blinzelnd, dann schloss sie die Augen und schlief ein.
Als sie die Augen wieder aufschlug war es dunkel. Sie fühlte sich auch gar nicht mehr als wäre sie 8 Jahre alt. Es fühlte sich an, als wäre sie 14. Sie hatte von einem Mann geträumt. Er war schwarz und so ein „gefährlicher Wilder“, wie ihre Mutter immer sagte. Die Neugier, die sie empfand war ein prickelndes Gefühl, aber die Gefahr, die von ihm ausging war... Sie erinnerte sich nicht mehr daran warum er gefährlich war. Es hatte etwas mit Geheimnissen zu tun. Sie wusste nicht mehr was für Geheimnisse... Irgendwas mit Katzen... Sie hatte auch davon geträumt. Und da war eine riesige Gestalt, aber der „Schwarze Wilde“ hatte sie beschützt... und dann war er auch... Aber hier war sie sicher, hier unter ihrer Decke. Sie wischte den Gedanken an den Traum beiseite. Es war hier warm, fast ein wenig zu warm. Dennoch traute sich Penelope nicht einen Fuß hinauszustrecken. Sie wusste dass sie hier sicher war, nur hier.
Es klopfte an der Tür und ihre Mutter kam hinein.
„Penelope? Schätzchen? Geht es dir gut?“ durch das Licht vom Flur konnte sie das Gesicht ihrer Mutter nicht erkennen.
„Ja, Mama.“ antwortete sie.
„Brauchst du etwas?“ ihre Mutter schien besorgt.
„Nein, Danke Mama. Ich will nur schlafen.“
Ihre Mutter nickte und bewegte sich wieder nach draußen, als sie inne hielt und sich noch einmal zu Penelope umdrehte.
„Willst du nicht langsam aufstehen? Du hast lange geschlafen.“
„Morgen vielleicht.“ antwortete sie.
Ihre Mutter nickte und kratzte sich an einer Hand. Das hatte sie noch nie getan. Das machte ihre Mutter eigentlich nicht. Sie hatte ihr immer verboten zu kratzen...
„Penelope...“ die Stimme klang ernst und besorgt. „Penelope ich brauche dich! Die... Es gibt Dinge, die du tun musst... die Katzen...“
Penelope wollte die Worte nicht hören, sie durfte nicht... sie konnte nicht... und schloss die Augen. Augenblicklich schlief sie ein.
Als sie die Augen wieder öffnete fühlte sie sich nicht mehr wie 14. Sie war nun eine erwachsene Frau, eine Wissenschaftlerin, verleumdet, verrissen, gebrochen. Draußen war es hell. Sie hörte ein Radio... ihre Mutter... Aber ihre Mutter war gestorben. Das war... Sie wusste nicht wie lange es her war, aber sie war tot. Penelope streckte ihre Hand nach dem Nachtschränkchen aus und öffnete die Schublade. Sie kramte darin bis sie die Tabletten fand. Die würden ihr helfen. Nachdenklich blickte sie darauf, und legte die Psychopharmaka auf den Nachttisch. Dann schlug sie die Decke beiseite. Sie war vollständig bekleidet. Ein paar rote Flecken waren auf ihrer Bluse. Sie wusste nicht woher diese kamen. Dann stand sie auf und ging zur Tür. Sie trat hindurch und blickte auf ihr Wohnzimmer. Auf der Couch lag Graham und schlief. Seine Hände waren notdürftig mit Klopapier verbunden. Er schlief. Auf dem Tisch stand sein Laptop und daraus flimmerte eine Nachrichtensendung.
„... seltsame Vorkommnisse. Augenscheinlich hat eine Gruppe radikaler Politikgegner mit schwerem Gerät Autos in der Innenstadt beschädigt. Der Redaktion liegt zum jetzigen Zeitpunkt kein Bekennerschreiben vor. Die Polizei...“
Graham öffnete die Augen. „Penelope.“ brachte er erstaunt hervor und setzte sich aufrecht hin. Er sah fertig aus.
„Für sie immer noch Dr. Norris, Graham.“
Graham blickte sie verwirrt an. Dr. Norris Blick fiel auf ein großes Küchenmesser, dass neben dem Tisch lag und dann auf Grahams Hände. Fetzen von Erinnerungen blitzten in ihrem Kopf auf.
„Ich hoffe ich habe sie nicht ernsthaft verletzt?“
Immer noch benommen schüttelte er den Kopf. „Kratzer...“
Sie schwiegen sich einige Sekunden lang an.
„... Herr Dr. Merkbraun ist Experte für politischen Terrorismus. Herr Merkbraun, wie konnte eine Gruppe an solch schweres Gerät kommen um solch einen Schaden anzurichten und wie kann man vorbeugend gegen diese neue Form des Terrorismus vorgehen? Ähem, nun Sachbeschädigung gehört seit den frühen 70er Jahren zu politischen Protestformen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist die Anwendung von sogenanntem „schweren Gerät“ nur ein weiterer Schritt auf der Evolutionsleiter des Terrorismus. Wenn man zurückblickt...“
„Wie lange habe ich geschlafen?“ fragte sie.
Graham blickte auf den Laptop. „So zwanzig Stunden... ungefähr.“
Wieder schwiegen beide.
„... kündigte an, dass eine Sonderermittlungskommission einberufen werden soll um die Vorkommnisse aufzuklären. Kommen wir nun zum Sport. Der Nürnberger SV...“
„Graham, ich werde jetzt auf die Toilette gehen und sie kochen einen Kaffee. Danach werden sie mir alles erklären was sie über mich wissen und woher. Und dann werde ich entscheiden ob es ein wir in dieser Angelegenheit gibt.“
Graham nickte verdutzt, dann blitzte etwas in seinen Augen auf und er grinste.
„Kaffe kann ich auch viel besser kochen als Kakao, Dock.“
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