Stinker war noch recht jung. Als er alt genug war das Nest zu verlassen sagte ihm seine Mutter, dass er 22 Tage alt war. Das gehörte zum Ritual. Jedem der das Nest aus eigener Kraft verließ wurde sein Alter verraten. Dies war nun 14 Tage her, er war also 38 Tage alt... im besten Alter. Er hatte alles getan, was man tun sollte. Ein Weibchen war dick von ihm, seinen Vater hatte er kennengelernt und einen Rivalen getötet. Jetzt war er bereit sein Schicksal für die Legion zu erfüllen.
Murinae hatte ihn angesprochen. Sie war die älteste von ihnen allen. Man sagte hinter vorgehaltener Hand ihr Alter wäre vierstellig! Aber das war sicher übertrieben. Dennoch war sie unangefochten die weiseste von ihnen allen und sie hatte Kräfte, wie jeder wusste. Niemand zweifelte an Murinae und ihr Rat war das wertvollste was man besitzen konnte.
Sie hatte Stinker zu sich gerufen, das war nun 14 Tage her und es war eine Ehre an sich gewesen. Er erinnerte sich wie er in der kleinen Halle von Murinae gewartet hatte, wie er sich auf die Hinterpfoten gestellt und seine Baarthaare sauber geputzt hatte. Dann war sie gekommen. Ihr Haar war weiß, ihre Augen rot und sie hatte zerbrechlich gewirkt, aber unendlich stark im Geiste. „Stinker...“ hatte sie keine Zeit verloren. „... wir alle, die ganze Legion braucht dich.“ Stinker war verdutzt gewesen. Er war gerade eben erst aus dem Nest „gefallen“ und hatte erfahren wie alt er war. Demütig hatte er seinen Kopf gesenkt. „Mich oh weiseste Murinae?“ Murinae nickte gütig. „Ja, du musst dich opfern und zu mehr werden als du bist.“ Stinker hatte geschluckt. „Aber hab keine Angst, Stinker. Komm zu mir zurück, wenn du alle Aufgaben erfüllt hast, die ein Jeder erfüllen muss vor seinem Ende.“ Stinker war unendlich stolz über diese Worte, heute noch. Sie traute ihm nicht nur zu ein erfülltes Leben zu führen, sondern auch darüber hinaus... etwas... Was sie ihm nun zutraute wusste er damals auch nicht so genau. Aber er verbeugte sich tief und sie leckte ihm mit einer Zunge wie alte, verschimmelte Orangenschalen über den Kopf, bevor er aufgebrochen war.
Nun war er zurückgekehrt. Hunderte hatten sich versammelt. Es schien als würde der große Abwasserkanal nur aus grauen, sich bewegenden Leibern bestehen und dahinter war das Tor, schwarz und undurchdringlich waberte es wie ein Schatten. Angst durchfuhr Stinker kurz und er blickte sich um. Vielleicht war er doch noch nicht bereit? Direkt vor dem Tor warteten die 20 Wächter. Jedem Wächter fehlte ein Stück Fell unter dem linken Auge, damit man sie erkennen konnte. Jeder Andere musste ihnen Platz machen, denn sie waren die wichtigsten Krieger der Legion. Sie durften immer Fressen, denn manche von ihnen hatten schon Katzen getötet. Murinae blickte ihm in die Augen, als er sich umsah. „Wir sind Legion!“ hörte er in seinem Kopf, und recht hatte sie. Eine große Ruhe erfüllte ihn. Sein Schicksal war erfüllt. Seine Kinder würden groß und kräftig werden. Und sein Ruhm wäre mehr wert als dass sie ihn treffen könnten. Er ging ein paar Schritte. Die Wächter bildeten eine Gasse. Stinker rannte los und in vollem Lauf sprang er in das Tor.
Das Wesen welches sich aus dem Schatten schälte sah aus wie eine riesige muskelbepackte Ratte auf zwei Beinen. Das Laufen fiel ihr schwer, als wäre die Gestalt es nicht gewöhnt sich auf zwei Beinen zu bewegen und der Abwasserkanal war viel zu eng. Aus ihrem Mund ragten scharfe Zähne. Ihr Fell war hellgrau und schimmerte hier und da weiß. Ihre Augen leuchteten matt in milchigem weiß und konnten den einzigen, dahinter liegenden Gedanken nicht verstecken: Rache
Doch dann blinzelte die riesige Ratte und Stinker blickte sich aus ihren Augen um. Langsam... ganz langsam begriff er das Flüstern des Schattens... und die Worte von Murinae... Er hielt sich an einer Wand fest und betrachtete verdutzt seinen Arm. Alles war so klein und er so... groß. Erst dann fiel sein Blick auf die hunderten von Ratten und Murinae. Er ließ sich schwerfällig auf seine Knien fallen und das tiefe Grollen aus seiner Kehle wurde zu Worten: „Wir sind Legion.“
*
Als alle gegangen waren schloss Murinae die Augen und ihr Geist griff hinaus und ertrank fast in der Energie die sie nun durchströmte. Ihre Macht hatte sich verdoppelt, verdreifacht vielleicht. Sie öffnete die Augen wieder und ein Teil von ihr wollte die Macht sofort ausprobieren, aber die Anderen, die Legion hätten es nicht verstanden. Wenn sie jetzt Angst vor ihr bekommen würden, wäre sie verloren... nicht sofort, aber sie könnte sie einfach nicht für immer kontrollieren. Damals war sie auch gescheitert. Wieder schloss sie die Augen und ihr Geist ertastete die schwarze Klaue. Jahrtausende waren die Raben die Begleiter der Wölfe. Doch dieses Blatt hatte sich gewendet. Sie schickte ihm nur drei Worte: „Es ist vollbracht.“
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