Rowan Trevelyan
22.06.2014
Momper
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Renard hatte schon seinen dritten Becher geleert, als er die Schritte des Jungen hörte.
"Ihr wolltet mich sprechen, Ser?", fragte Rowan, als er den Speisesaal betrat.
"Setz dich, Junge."
Rowan setzte sich und Renard nahm sich einen Augenblick Zeit, ihn zu betrachten. In den beinahe fünf Jahren hatte er aus dem Jungen einen Mann gemacht. Rowan hatte jetzt die Arme eines Ritters, stark genug, um mit einem Schwertstreich einem Gegner ein Bein zu brechen. Im Süden hatte er sich vor zwei Jahren schließlich seine ersten Narben geholt und bewiesen, dass die Ausbildung ihren Wert gehabt hatte. Außerdem hatte der Junge inzwischen das, was man eine schneidige Zunge nannte. Ein Ritter musste nicht nur auf dem Schlachtfeld bestehen können, sondern auch im blutigen Getümmel eines hochherrschaftlichen Ballsaales. Rowan würde bald Gelegenheit haben, seine Fähigkeiten zu beweisen. Renard musste sich eingestehen, dass er stolz auf den Burschen war und dass er sich selbst einen Teil davon zuschrieb. Außerdem trug Rowan – im Gegensatz zu Renards eigenem Sohn Theron – das Haar nach Haldwen-Sitte lang.
"Ich denke, wir sind fertig.", erhob Renard schließlich wieder die Stimme.
"Fertig womit, Ser?"
"Mit deiner Ausbildung. Ich glaube nicht, dass ich dir noch etwas beibringen kann."
Rowan hob erstaunt – aber nicht überrascht, wie Renard feststellte – die Brauen und nickte.
"Das heißt nicht, dass es für dich nichts mehr zu lernen gibt. Werde nicht übermütig.", fuhr Renard fort, "Aber Du bist jetzt beinahe 17 Jahre alt und wirst dir deine Stellung in der Welt bald selbst suchen müssen."
"Dann schlagt Ihr mich zum Ritter?"
"Noch nicht. Aber wir werden in einer Woche nach Havena aufbrechen. Der König heiratet erneut und hat zum Fest geladen. Und ich denke, das ist eine gute Gelegenheit, Dir den Ritterschlag zu geben. Dein Vater wird anwesend sein. Und natürlich der König. Und diese beiden sollten es immerhin bezeugen."
"Dann werde ich nur noch eine Woche bei Euch leben und dann zu meiner Familie zurückkehren?" Eitlerweise war Renard ein bisschen geschmeichelt, als er die Traurigkeit in der Stimme des Jungen mitschwingen hörte.
"Ich weiß nicht, welche Pläne dein Vater mit dir hat."

Viele Stunden später saß Renard noch immer im Speisesaal und leerte die vierte Flasche. Er hatte alle Bediensteten ins Bett geschickt und sich einfach selbst an den Vorräten bedient. Katriane würde wie gewohnt nichts dazu sagen, dass er trank, aber ihre Blicke morgen früh würden Bände sprechen. Aber Katriane war seine Bürde und heute Abend nicht die Zeit, über sie nachzudenken. Die traurige Wahrheit war, dass es nur wenige Menschen auf der Welt gab, deren Meinung Renard Haldwen so kalt ließen wie die seiner Frau. Glücklicherweise beruhte das auf Gegenseitigkeit.
Renard dachte über den Jungen nach. Am Anfang hatte er ihn nur zu sich genommen, um seiner Nichte, Rowans Mutter, einen Gefallen zu tun. Renard hatte sich nie für einen Lehrer gehalten. Tief in seinem Herzen war er ein Abenteurer. Er hatte so viel von der Welt gesehen, in so vielen Betten geschlafen und so viele Frauen gekostet, dass ihm Heim und Herd von jeher wie ein Gefängnis vorgekommen waren. Dummerweise war er ein Haldwen, und das bedeutete, dass von ihm erwartet wurde, Nachkommen zu zeugen. Echte Nachkommen, die auch seinen Namen trugen. Er hatte seine Schuldigkeit getan und mit Katriane immerhin einen Sohn zustande bekommen. Ihm – und zum Glück auch ihr – hatte das gereicht, und Renard war von Turnier zu Turnier und, wenn möglich, von Krieg zu Krieg gezogen. Dann hatte er den Bengel seiner Nichte anvertraut bekommen. Das erwartete man also auch von ihm. Er war nicht glücklich gewesen und der Junge auch nicht. Aber Reisen und Krieg schweißte Männer zusammen, hieß es. Renard musste sich eingestehen, dass der Junge ihm so sehr ans Herz gewachsen war, wie er es eigentlich keinem Menschen jemals gestatten wollte.
Und nun würde er einfach weggehen.
Götter! Einmal aller Jubeljahre durfte ein Mann sich solchen Schwermut gestatten, beschloss Renard und holte sich eine weitere Flasche.

Die Gebäude der Stadt tauchten in der Ferne auf.
"Bist du schon einmal in Havena gewesen, Junge?", fragte Renard.
"Es ist lange her.", antwortete Rowan, "Ich war noch ein Kind und kann mich kaum erinnern."
"Es stinkt, die Huren sind billig, und überall versucht man, dir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Du wirst es lieben!"
Renard hatte bemerkt, wie sehr sich Rowan auf den Ritterschlag freute, als könnte er es kaum erwarten, von ihm loszukommen. Vielleicht lag es auch an etwas anderem. Doch jedesmal, wenn Renard das Gespräch dahin lenkte, wich der Junge aus.
"Du weißt, wie du dem König gegenübertrittst?"
"Ich nenne ihn Eure Majestät, spreche nur, wenn ich aufgefordert werde und dränge mich nicht zu sehr in den Mittelpunkt."
"Und bedenke, dass du nicht willst, dass er dich zu genau ins Auge fasst."
"Ser, der König ist mein Großonkel. So wie Ihr. Ich denke nicht, dass er mir Übel will."
"Nicht jeder Großonkel hat ein so großes Herz wie ich. Vergiss das nicht."
Rowan lachte vergnügt auf.
"Ser, der König heiratet. Für mich wird er sicher keine Augen haben, sondern für seine Braut."
"Das mit Sicherheit. Vor allem, wenn man bedenkt, welche schöne Blume er sich auf seine alten Tage gepflückt hat."
Rowan lachte erneut auf.
"Seine Braut ist schön? Es ist sicher die Witwe eines hohen Herren, die den Namen ihrer Familie vergolden will."
"Oh nein! Eine Jungfrau von großer Anmut. Du hast sie vielleicht einmal gesehen. Wir waren in der Burg ihres Vaters, als wir nach Süden zogen."
Rowan hielt sein Pferd an. Das Lachen war aus seinem Gesicht verschwunden und einem Ausdruck gewichen, der Renard das Blut in den Adern gefrieren ließ.
"Wie ist ihr Name, Ser?"
Renard dachte kurz nach und wunderte sich ein bisschen über die plötzliche Ernsthaftigkeit in Rowans Stimme.
"Es ist Lynn aus dem Hause Montrose. Du erinnerst dich vielleicht an sie. Sie war das Mündel deines Vaters, als ihr noch Kinder wart."
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