In Time
29.12.2013
Änn
Kommentare: 2
„Gehst du auch jeden Tag zur Schule?“ Jade verdrehte die Augen. „Ja, ganz vorschriftsmäßig!“ „Gut, gut, dann musst du bestimmt gleich los.“ Carter wirkte etwas nervös. Er schaute einmal kurz nach rechts und links, bevor er weitersprach. „Ich bin bald wieder da.“ „Ausgezeichnet.“ „Ja genau“, begann er und ignorierte dabei wie gewohnt den sarkastischen Unterton in ihrer Stimme „und ich werde vielleicht jemanden nach Chicago mitbringen.“ Sie runzelte die Stirn. „Ach ja, und wen?“ „Das besprechen wir dann, wenn ich wieder da bin. Im Augenblick bin ich noch nicht einmal sicher, ob er überhaupt mitkommt.“ Jade stand auf. „Schön, ich muss dann mal los. Mein tägliches Bildungserlebnis wartet.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, schaltete sie den Porta aus.

Als sie die Straßen von Canaryville betrat, zog sie ihre Kapuze tief ins Gesicht. Sie hatte noch keine Lust auf die Welt um sie herum. Statt dessen wandte sie sich gedanklich dem Gespräch mit Carter zu. Sie hasste seine täglichen Kontrollanrufe. Früher bei Peter und Charlotte hatte sie machen können, was sie wollte. Es hatte sie einen Scheißdreck interessiert, ob sie zur Schule ging oder nicht. Die sorgenvollen Schreiben über die beachtliche Anzahl an Fehlstunden wurden einfach geflissentlich ignoriert, während man sich von einer Phase des Rausches in die nächste begeben hatten. Doch nun waren sie tot und ihr war Carter geblieben. Eigentlich mochte sie ihn ja. Es war schon ein anderes Gefühl, wenn man wusste, dass da jemand ist, dem nicht alles egal ist. Aber er wachte auch mit eiserner Unnachgiebigkeit über sie und das war sie einfach nicht gewohnt.
Als sie Jimmys Laden passierte und auf die Union einbog, dachte sie, dass es wenigstens bald geschafft war. In ein paar Monaten würde sie die Abschlussprüfungen schreiben und dann war sie erst einmal frei. Sie war nicht dumm oder so, das wusste Carter genauso gut wie sie. „ Ich werde vielleicht jemanden nach Chicago mitbringen.“ Als käme sie nicht auf die Idee, was er damit meinte. Als wäre es ein Geheimnis, dass ihr Onkel angefangen hatte die „vergessenen Jahre“ ihres Vaters aufzuarbeiten. Die Person, die er dabei aufgetan hatte, musste wohl zur Debray-Sippe gehören. Warum ihr Onkel das tat, war ihr immer noch nicht ganz klar. Vermutlich wollte er daraus irgendwelche Schlüsse für diese Vererbungsgeschichten ziehen, die er so interessant fand. Sie jedoch hatte kein großes Interesse die holde Verwandtschaft kennenzulernen. „Wenn dieser jemand auch nur etwas von den Debray-Genen abbekommen hat, ist er wahrscheinlich genauso verkorkst wie ich“, dachte sie. Andererseits war er zumindest nicht in den Genuss von Peters hervorragender Erziehung gekommen. Jade hatte nicht um ihn getrauert, als es mit ihm zu Ende gegangen war. Er war gestorben, wie er gelebt hatte. Dass ihre Mum mit daran glauben musste, hatte ihr leid getan. Es war typisch Peter gewesen, dass er sie selbst an so einem Punkt noch mit in die Scheiße reinziehen musste. Es machte sie immer noch total fertig, wenn sie daran dachte, wie sie sie in ihren letzten Minuten angestarrt hatte. Wie ihre Augen, selbst als das Leben aus ihr wich, sich nicht von ihr abgewandt hatten. Wie ihre Lippen die letzten Worte ihres Lebens geformt hatten, ein gehauchtes, kaum hörbares „I'm sorry“.
Carter war da gewesen. Hatte sie in den Arm genommen und auf seine unbeholfene Art versucht sie zu trösten.  Es war vermutlich die schlauste Idee, die ihr Vater in seinem erbärmlichen Leben gehabt hatte, als er beschlossen hatte aus dem Krankenhaus Kontakt zu seinem Bruder aufzunehmen. Er war ganz anders als Peter. Gerade wenn sie ihn zusammen mit den anderen Unberührten sah, fragte sie sich häufig, wie ihr Vater so geworden war. Doch leider konnte sie sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen. Carter hatte sich im Krankenhaus um alles gekümmert. Hatte dafür gesorgt, dass die Ärzte weg sahen, als sie feststellten, dass ihr Patient keinen Timecode hatte. Er hatte sich um sämtliche Formalitäten gekümmert, als ihre Eltern tot waren und er hatte sie mit zu sich genommen.
Und da war sie nun: in ihrem letzten Jahr auf der High School, mit dem Wissen in ihrem Kopf, dass sie anders war, als andere Leute. Als sie das Schulgelände betrat, fragt sie sich, wie viele Andere auf der Welt es wohl noch geben mochte. Leute, die von jemanden abstammten, der keine Zeit auf seinem Arm hatte. Sie stellte sich vor, dass es einen besonderen Alarmton für Menschen wie sie gab, als sie an der Sicherheitsschleuse wartete. „Naja“, dachte sie bei sich „mindestens einen anderen Menschen mit diesen Genen scheint es ja zu geben.“ Eigentlich war es bei Peters Sexualverhalten ein Wunder, dass Carter nicht auf viel mehr Nachkommenschaft gestoßen war. Sie betrat das Klassenzimmer. Wie immer war sie viel zu spät dran, aber Mr. Daniels bedachte sie nur mit einem strengen Blick, als sie beim Klingeln eintrat. „Okay Leute, heute werden wir mit den Mendelschen Gesetzen anfangen. Also spitzt die Lauscher, das kommt auf jeden Fall in der Abschlussprüfung daran.“ Jade ließ sich auf ihren Platz fallen und beugte sich zu Gabriel rüber. „Yo G, hast du nachher schon was vor? Ich hab heut' Bock ein paar Leute zu schocken.“
Nate (Gast)
29.12.2013 21:24
Das ist meine Schwester, yo!
Fräulein Fu (Gast)
02.01.2014 20:57
Ja, doch... Das Mädchen hat Potential. *lächel*
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