Momentaufnahme
12.05.2013
Momper
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Ich habe keine Ahnung, warum ich überhaupt losgehe. Irgendwas hat die einbrechende Dunkelheit da draußen versprochen. In meiner Wohnung ist es auch dunkel geworden, und ich habe den Gedanken ekelhaft gefunden, das Licht anzumachen. Dann hätte ich den Dreck gesehen, der sich seit Wochen immer mehr aus den Ecken hervortraut. Also habe ich mir was angezogen und ein Taxi gerufen.
„Wohin?“, fragt der Fahrer.
Eigentlich weiß ich es schon. Dahin, wo wir uns immer treffen. Es ist echt jämmerlich, dass mir nichts besseres einfällt. Ich tue so, als wäre ich unentschieden.
„Was empfiehlst Du mir?“, duze ich ihn selbstverständlich.
Er denkt einen Augenblick nach.
„Worauf hast Du denn Lust?“, fragt er mich dann.
Ich will, dass alles flüssig wird, denke ich mir. Raus hier. Den anderen beim Hahnenkampf zusehen. Unbeteiligt bleiben. Unangetastet sein. König werden. Alles ganz schnell sehen. Mich bewegen. Nochmal zum ersten Mal da sein. Dann nach Hause gehen und König bleiben. Die Bässe mitnehmen und das flüssige Glück. Mir merken, wie die Mädchen ausgesehen haben beim Tanzen. Es ausreichend finden.
Ich nenne dem Fahrer die Adresse. Er ist ein bisschen verwirrt, fühlt sich verarscht, fährt aber einfach los. Er schweigt für den Rest der kurzen Fahrt, und ich fange bestimmt kein Gespräch an. Oder doch? Vielleicht sollte ich ihm was Persönliches erzählen. Taxifahrer sind fahrende Therapeuten, hab ich mal gelesen. Sie kriegen den Dreck einer ganzen Stadt ins Auto. Sie sind rote Blutkörperchen.
Mir fällt kein Thema ein, und ich sitze meine Zeit einfach ab.
Es fühlt sich nicht an, als wäre ich ein Raubtier, als ich den Club betrete. Irgendwann hat es das mal. Ich ging in Zeitlupe die Stufen hoch. Oder im Takt. Jede Snare war das Geräusch meines Fußes auf den Stufen.
Drinnen suche ich mir einen Platz. Ich muss in Stimmung kommen. König werden. Mich bewegen.
Die Musik setzt sich zu mir. Sie ist ein bisschen zu dünn für meinen Geschmack, und ihre Stimme ist schwächlich und viel zu weinerlich. Sie hallt nach und tut so, als würde sie träumen. Aber sie ist konsequent, und das gefällt mir gut. Sie hört nicht auf. Ich nicke zu jedem ihrer Worte. Und ich erzähle ihr was.
Kennst Du die Typen, die sich rausputzen und dann doch nur rumsitzen? Ich habe sie nie verstanden. Warum gehen die nicht in eine Bar? Wenn sie trinken, sitzen und schweigen wollen, warum gehen die nicht in eine Bar? Ich lächele. Weil schweigen besser geht, wenn es so laut ist, dass man nicht reden kann. Ja, Du hast recht. Ich bin ja auch so einer.
Die jungen Mädchen kommen rein, geben ihre silbernen Handtaschen an der Garderobe ab und erlauben sich nicht einen einzigen Drink, bevor sie zappelnd auf die Tanzfläche gehen und einfach kein Ende finden.
Ich stelle mich an der Bar an. Die Musik langweilt mich ein bisschen, und ich will sie mir schön trinken.
Es funktioniert. Ich knöpfe den obersten Knopf meines Hemdes auf, stecke mir die linke Hand in die Hosentasche und halte mich mit der rechten am Bier fest, während ich zur Tanzfläche schlendere. Ich stehe am Rand und wackele ein bisschen mit. Nippe am Bier. Bewege dann die Füße. Gehe weiter nach vorn. Bin mittendrin und schwitze. Ich fühle mich gut und werde attraktiver.
Und dann beginnt es.
Ich entdecke Dich. Du hast mich noch nicht gesehen, obwohl Du natürlich weißt, dass ich hier bin. Du trägst ein Top mit sehr dünnen Trägern, die einen Blick auf Deine Schultern freigeben. Die beiden kleinen Wölbungen Deiner Schulterblätter wandern unter Deiner Haut nach unten, als Du die Hände mit geschlossenen Augen über den Kopf hebst, als wäre das hier ein Tempel und Dein Tanz ein Gebet. Und dann öffnest Du die Augen und siehst mich. Und Du siehst, dass ich Dich gesehen habe.
Wir weichen beide dem Blick des anderen aus und machen weiter unser Ding.
Heute nicht.
Jetzt nimmt die Musik zu. Ich habe es immer schon lieber gemocht, wenn sie ein bisschen was auf den Rippen hat. Ich erreiche den Punkt, an dem ich nicht mehr darüber nachdenke, wie ich von außen aussehe.
Einmal, als ich die Augen öffne, lächelt mir ein Mädchen zu. Wir bewegen uns einen Augenblick lang gemeinsam. Ihr lustvolles Lachen ist echt. Sie hat diesen Blick, der verspricht, dass sie mich mit nach Hause nehmen würde, wenn ich es richtig anstelle. Wir sind jung und modern. Seien wir ehrlich. Belügen wir uns.
Ich verschwinde auf dem Klo und versaue es. Sie ist hübsch genug, um einen anderen zu finden, dem ihre Augen und ihr Körper ein paar handfeste Lügen versprechen können. Du ignorierst es offensichtlich. Du bist heute nur wegen der Musik hier. Das verrät die Art, wie Du Dich bewegst.
Die Bässe sind gedämpft auf dem Klo. Ich habe keine Ahnung, wer außer mir noch mit hier ist. Die goldene Regel. Männer werden unsichtbar, wenn sie ihre Schwänze in der Hand haben und nur andere Männer anwesend sind. Beim Händewaschen betrachte ich mich im Spiegel und stelle fest, dass der Schweiß mein Hemd an genau den richtigen Stellen durchnässt hat. Vielleicht finde ich ja noch ein Mädchen mit vielversprechenden Augen, das mich trotz meines Vorsatzes rumkriegt und mich mit zu sich nimmt.
Irgendeine andere, die nicht Du bist.
Ich brauche eine Zigarette und ein bisschen frische Luft. Meine Schritte finden den gewohnten Weg nach draußen beinahe automatisch. Am Ausgang wird mir ein kleines Fadenkreuz auf den Handrücken gestempelt. Ich bin damit aufgenommen. Am Montag werden meine Kollegen den Stempelabdruck sehen und wissen, dass ich den Samstag Abend nicht auf dem Sofa verbracht habe.
Du hast auf mich gewartet. Du rauchst Selbstgedrehte wie damals, als Du noch Studentin warst und Dir keine Fertigen leisten konntest. Alte Gewohnheiten kann man nur noch schlecht ablegen. Ich komme zu Dir und ziehe Dir die Zigarette zwischen den schlanken Fingern hervor und stecke sie mir zwischen die Lippen. Du trägst Lipgloss mit Kirscharoma. Der Filter ist mit einer cremigen Schicht bedeckt an den Stellen, an denen Deine Lippen ihn berührt haben. Der Geschmack überdeckt sogar den der Zigarette. Ich inhaliere tief und verteile Deinen Geschmack, indem ich meine Lippen aneinander reibe.
Wir setzen uns auf die alte Lieferrampe im Hinterhof des Clubs und winkeln die Beine an. Und dann sind wir wieder in unserer Glocke. Alle anderen sind weg. Die Musik wabert wie feiner Rauch aus den Kellerfenstern und drängt sich nicht auf.
Der erste Kuss tut immer ein bisschen weh. Heute schmeckt er nach Kirsche und  gebrochenem Stolz.
Was bin ich wert, wenn ich meinen Versprechen nicht einmal selbst glauben kann?
Dann komm nicht her.
Ich wollte nur wissen, ob ich diesmal einfach nach Hause gehen kann.
Du hast kein Zuhause. Du hast ein Bett und ein Klo. Und Du wolltest genau das hier.
Gibt es Schmerz, ohne den man nicht mehr leben kann?
Ist Dir klar, wie bescheuert das klingt?
Wie sehr ich sie liebe!
Wie sehr Du sie morgen früh wieder hassen wirst.
14.05.2013 08:17
Wow...
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