Rogonn saß an seinem dunklen, hölzernen Schreibtisch und hielt einen Bogen Pergament in der Hand, ohne die Worte anzusehen, die darauf geschrieben standen.
Sein Blick verlor sich irgendwo zwischen dem Tintenfäßchen und der Kerzenflamme.
War das richtig?
Wieder und wieder hatte er darüber nachgedacht. Hatte versucht, den Plan von allen Seiten zu betrachten, alle möglichen Folgen im Voraus zu ahnen und seine Schwachstellen zu finden.
“Du mußt lernen, zu denken wie deine Feinde, mein Junge!”
Das hätte Garmaruk vermutlich gesagt, wenn er ihn eingeweiht hätte.
Er ließ das Pergament sinken und lehnte sich tief atmend zurück.
Noch hatte er ihm nichts gesagt.
Vielleicht würde er es gar nicht mehr tun. Vielleicht doch.
Er würde es ohnehin bald erfahren. Wenn seine Spitzel etwas taugten. Rogonn lächelte dünn.
Er nahm das Pergament wieder auf und betrachtete es.
Darauf war das gezeichnete Porträt eines dunkelhaarigen Mannes zu sehen. Darunter stand zu lesen:
Finh Rattner
2 Goldmünzen für den, der ihn fängt
und ihn mir lebend ausliefert
gezeichnet: Rogonn Kupferberg
Würde das reichen?
Er würde sorgsam darauf achten, daß diese Steckbriefe ihren Zielort erreichten.
Das war wichtig. Nur jene ausgewählten Personen, für die er bestimmt war, durften ihn finden.
Die gewünschte Wirkung sollte bald eintreten.
Und dann würde es wieder Gespräche geben. Nur wäre er diesmal deutlich besser vorbereitet als beim letzten Mal.
Diesmal galten seine Regeln.
Oh ja, das würde eine Interessante und sehr aufschlussreiche Begegnung werden.
Alles hing vom richtigen Zeitpunkt ab.
Wenn diese Sache zu spät ins Rollen kam konnte das ziemlich ungemütlich werden.
Da gab es noch dieses andere Geschäft, das unbedingt zeitlich darauf abgestimmt werden musste.
Auch dafür musste es noch ein Treffen und Gespräche geben, aber das beunruhigte ihn jetzt nicht mehr so sehr.
Rogonn ließ das Schriftstück auf den Tisch sinken und lächelte zufrieden.
Viel zu lange hatte er mit Feder und Tinte in staubigen Schreibstuben verbracht.
Er war damit beschäftigt gewesen Rechnungen zu kontrollieren, Ein- und Ausfuhrlisten zu vergleichen und Briefe zu verfassen, Tag ein, Tag aus.
Es reizte ihn, wieder einmal frische Luft zu atmen.
Einmal wieder selber die Dinge einzufädeln, anstatt das den anderen zu überlassen.
Einmal wieder in der Nacht außerhalb der Stadt an einer bestimmten Stelle auf zwielichtige Unterhändler zu warten, mit klopfendem Herzen, und am Anfang des Abends
noch nicht zu wissen, ob man sich plötzlich inmitten blank gezogener Schwerter wiederfand.
Rogonn lächelte. Gute platzierte, treffsichere Bogenschützen waren schon immer eine Investition wert gewesen.
Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und holte ein in Leinen gewickeltes Bündel heraus.
Er wog es einen Moment in der Hand und legte es dann auf dem Schreibtisch ab.
Der Schneider hatte es heute morgen bringen lassen. Rogonn war versucht gewesen, die Sachen sofort anzuprobieren, aber dann hatte er sich beherrscht.
Lieber sollte er auf einen ruhigen Moment warten, wenn er allein war und sicher, daß ihn niemand mehr stören würde.
Die Kleidung war eine exakte Kopie der Garderobe, die er früher getragen hatte, als er noch deutlich jünger, sportlicher und – anscheinend – schlanker gewesen war.
Sie war gut dazu geeignet, ihn in der Nacht vor so manchem suchenden Auge zu verbergen.
Es war derselbe Schneider gewesen wie auch damals.
Jener hatte inzwischen genug gesehen, um zu wissen, was es bedeutete, wenn er für einen Auftrag eine deutlich höhere Summe bekam, als er verlangt hatte.
Rogonn schaute wieder in die Schublade, die immernoch offen stand, und griff noch einmal hinein, um ein Stück zusammengerollten Samt herauszuholen.
Er legte sie zum Bündel auf den Tisch und löste die Lederbänder, die die Rolle gehalten hatten.
In dem ausgebreiteten Stück Stoff kam ein metallisch glänzender Schlüssel zum Vorschein.
Rogonn nahm ihn in die Hand, betrachtete ihn versonnen und stand schließlich auf, um die trutzige, metallbeschlagene Kommode hinter sich damit zu öffnen.
Als er die Türen ganz aufklappte und zur Seite trat, spiegelte sich das Licht auf blankem Stahl.
Er griff sich ein Schwert und betrachtete ehrfürchtig die sorgsam geputzte Klinge.
Sicher war er nicht der beste aller Schwertkämpfer.
Aber er war nicht allein.
Und Rospano war auch nur ein Mensch.
Es konnte zu einer ernsten bewaffneten Auseinandersetzung kommen. Dafür wollte er vorbereitet sein.
Er würde wieder anfangen zu üben.
Er hielt das Schwert hoch und besah sich die Klinge, die das Licht spiegelte.
Ich bin bereit.
|