Der dicke Kiwi rannte durch das Unterholz des neuseeländischen Busches. Dicht hinter ihm versuchte ein Marder seiner habhaft zu werden. Totorablätter stoben auseinander, Farnkraut blieb an dem rauen Federkleid haften und dichte Bündel von Rimublättern schlugen dem Räuber dank der hastigen Schritte des Kiwis immer wieder vor die Nase, dem Vogel wichtige Augenblicke verschaffend, von denen sein Überleben abhing. Dann stand der riesige, alte Totorabaum vor ihm. Zielstrebig sprang der Kiwi in das Loch zwischen den Wurzeln. Der Marder blieb so abrubt stehen, dass seine Krallen den Boden aufrissen. Vorsichtig blickte sich der fremdländische Eindringling um.
Natürlich wusste er, wohin der Kiwi verschwunden war. Er hatte es gesehen. Aber da war etwas... etwas lag in der Luft... Er hob seine Schnauze und schnüffelte doch da war nichts. Dennoch ließ ihn sein Instinkt zögern näher an das Loch heranzukommen. Es war als würde etwas nicht richtig sein, nicht hierher gehören, hierhin in den Busch des Landes der weißen Wolke*. Seine Nase zuckte nach rechts, nach links und über den Boden. Langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den Anderen. Plötzlich erschien der Kopf des Kiwi in dem Loch und verharrte gerade lange genug um festzustellen, dass der Marder immer noch da war. Hunger und Blutgier übermannten das Raubtier. Er sprang zum Loch und verschwand halb darin. Da war eine Kante, und dahinter nahm er den Geruch des Kiwis war. Der Vogel hatte Angst... die Barthaare des Marders berührten das Federkleid des Vogels, sein Maul schnappte und sein Speichel benetzte das Futter. Nur noch ein Stückchen, dann hatte er seine Mahlzeit.
Er konnte nicht hören, wie sich der Knoten des Seils löste, welche den schweren Baumstamm in der Luft hielt. Dieser schnellte nieder und zerquetschte krachend das Rückgrat des Marders.
Hinter dem Totorabaum kam der dicke Kiwi hervor. Aus seinen schwarzen Augen heraus betrachtete er den verzweifelten Todeskampf des Marders, dessen Hinterbeine sich nicht mitbewegten. Laut gackernd löste sich ein Kea aus dem Totorabaum hoch über ihm und landete hart auf dem Baumstamm unter dem der Marder zappelte. „Danke, dass du mir das Leben gerettet hast, Toramui von den Keas.“ sagte der Kiwi und deutete eine Verbeugung an.
Der Kea blickte sich um und legte dann den Kopf schief. „Gern, gern.“ krächzte er und nickte dabei heftig. „Wohin, wohin?“ fragte er, während er den Kiwi intensiv beobachtete.
„Der Rat muss informiert werden. Europa ist in Aufruhr. Es scheint Etwas mit den Toren zu...“
Der Kea unterbrach ihn mit einem schrillen Schrei. Wut schwang in ihm mit und Kampfeslust. „Auf-be-gehr-en!“ rief der Kea wobei er bei jeder Silbe heftig den Kopf nickte. „Ich kann euch verstehen...“ antwortete der Kiwi. „... doch dies darf nicht unser Weg sein. Seit hunderten von Jahren versuchen wir Frieden...“ Der Kea machte eine kräftige Hackbewegungen auf den Baumstamm. Der Laut des Schlages durchdrang die Geräusche des Busches und für einen Moment kehrte Stille ein. Die Bewegungen unter dem Stamm erstarben abrubt. Beide Vögel schauten sich lange an. „Te Hokioi!“ krächzte der Kea langsam und betont. „Huia!“ der Kiwi hielt dem Blick stand und wusste welchen Namen der Kea nun sagen würde. „Moa!“ sprach er zusammen mit seinem Lebensretter laut aus und vervollständigte die kurze Aufzählung der ausgestorbenen Vögel.
Der Kiwi nickte langsam. „Aber wir haben überlebt!“ sagte er, drehte sich herum und ging seinen Weg weiter, während der Kea hinter ihm laut schreiend auf den Baumstamm einhackte.
Er hätte dem Kea erklären können, dass die Zeiten sich geändert hatten, das der Mensch zu übermächtig geworden war. Es waren keine Maori mehr, sie hatten Maschinen, Städte, Kultur... und die Einwohner des Landes der weißen Wolke* benannten sich selbst nach ihnen, den Kiwis. Er hätte nicht zugehört. Geblendet von dem Stolz einen Marder getötet zu haben wurde der alte Zorn geweckt. Auch musste er schnell heimkehren um dem Rat der Inseln die Neuigkeiten mitzuteilen, die er mit dem Kea geteilt hatte, und noch Vieles mehr.
Auch war er tatsächlich froh, dass Toramui die historische Maorifalle ausgelöst hatte. Er hatte ihm damit das Leben gerettet. Die Kiwis hatten nicht überlebt, weil sie besonders intelligente, gechickte oder stolze Vögel waren wie die Keas. Sie hatten überlebt, weil sie Frieden suchten und dafür die schwachen, armen, runden, bemitleidenswerten Vögel waren, die fast ausgerottet wurden... fast.
* Maoriname für Neuseeland
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